Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war
Teppiche, und in einer Ecke steht eine Ritterrüstung. Joel bleibt jäh stehen. Eine Ritterrüstung, die sich bis in dieses verschneite Kaff im Norden verirrt hat! »Die Rüstung ist aus Schottland«, sagt Ture. »Von dort stammen unsere Vorfahren.«
Ture und er scheinen allein zu sein in der großen Wohnung.
»Hast du keine Mama?« fragt Joel.
»Klar hab ich eine Mama«, antwortet Ture. »Aber sie und meine beiden Schwestern ziehen erst im Sommer hierher. Im Augenblick sind nur mein Vater und ich hier. Und dann kommt da noch eine Frau, die putzt und kocht. Sie ist grade beim Einkaufen.«
Klar hab ich eine Mama, ahmt Joel ihn im stillen nach. So klar ist das keineswegs…
Ture hat ein großes Zimmer unterm Dach. Joel kommt es merkwürdig vor, daß er all seine Sachen ausgepackt und im Zimmer verteilt hat, wo er doch in ein paar Tagen abhauen will. Und will er wirklich all das mitnehmen, wenn er durchbrennt? Dann brauchen sie mindestens den Laster vom alten Maurer, um das ganze Zeug zum Bahnhof zu schaffen.
In Tures Zimmer hat Joel ein Gefühl, als ob er geradewegs in eine ihm bisher unbekannte Welt geraten wäre. Das Zimmer ist fast genauso groß wie die ganze Wohnung, in der er mit Papa Samuel wohnt. Eine Wand ist mit Büchern bedeckt, eine andere mit Landkarten. Von der Decke hängen große Flugzeugmodelle. Auf einem riesigen Tisch, der von der einen bis zur anderen Ecke des Zimmers reicht, gibt es Dampfmaschinen, einen Stabilbaukasten und merkwürdige Apparate, die Joel noch nie gesehen hat. Am Bett stehen zwei Radioempfänger, und über dem Kopfkissen hängen übereinander Kopfhörer. In diesem Zimmer gibt es alles, nur keine Spielsachen. Joel steht da und guckt und guckt.
»Du hast ein Loch im Strumpf«, sagt Ture. »Paß auf, daß dir der große Zeh nicht wegläuft.«
»Ich lüfte meine Zehen aus«, antwortet Joel. Er sagt das so unbekümmert wie möglich. Ture soll nicht merken, daß es ihm peinlich ist.
Über dem Bett hängt ein Bild. Es zeigt einen fast glatzköpfigen Mann mit einem langen Bart. Joel erinnert er an einen der alten Pastoren, die in der Sakristei der Kirche hängen.
»Wer ist das?« fragt er. Aber er bereut es sofort. Vielleicht ist es jemand, den er kennen müßte.
»Leonardo«, sagt Ture. »Der große Leonardo da Vinci. Er ist mein Vorbild.«
Den Namen hat Joel noch nie gehört. Jetzt nimmt er ein großes Risiko auf sich. Wenn Ture jetzt anfängt, ihm Fragen zu stellen, dann ist er durchschaut. »Das weiß ja jeder, wer das ist«, sagt Joel so überzeugend wie möglich. Er ist gerettet. Ture fragt nicht weiter. Statt dessen zeigt er ihm seine Landkarten. »Ich wünschte, ich wäre in einer anderen Zeit geboren worden«, sagt er. »Als es noch Berge, Flüsse und Wüsten zu entdecken gab. Wohin man heute auch geht, immer ist schon jemand vor einem da gewesen. Ich lebe zu spät.« »Man lebt doch, wenn man lebt«, sagt Joel. »Träumst du denn nie?« fragt Ture. »Nein«, sagt Joel, »nicht oft.« »Das ist gelogen«, sagt Ture. »Ich lüge nicht«, sagt Joel.
»Na, ich denk mir mein Teil«, sagt Ture. »Was willst du denn mal werden?«
»Seemann«, antwortet Joel. »Wie mein Papa.«
»Hier wohnen doch keine Seeleute«, sagt Ture. »Wo es hier kein Meer gibt.«
»Er wohnt hier jedenfalls«, antwortet Joel.
»Ist er Kapitän?« fragt Ture.
Darauf möchte Joel am liebsten nicht antworten. Dann müßte er ja noch mehr lügen. Er will nicht sagen, daß Papa Samuel nur ein Matrose gewesen ist.
»Zuletzt ist er Kapitän auf einem Schiff gewesen, das hieß ›Celestine‹«, sagt er. »Sie haben lebende Pferde befördert. «
Plötzlich ist er wütend auf Papa Samuel. Warum ist er nicht Kapitän? Dann würde er auch in so einem großen Haus wie diesem wohnen können…
»Ich werde vielleicht Ingenieur«, sagt Ture. »Oder ich fang bei der UNO an.«
Joel hat nur eine sehr unbestimmte Vorstellung davon, was die UNO ist. Ein Ort, an dem die Leute sich gegenseitig Reden halten. Aber er fragt nicht.
Ich muß zur Bibliothek gehen und es nachschlagen, denkt er, Leonardo da Vinci und UNO.
»Wieso hast du zwei Radios?« fragt er, um nicht über die UNO reden zu müssen.
»Dann kann ich zwei Programme gleichzeitig hören«, sagt Ture. »Schweden und das Ausland, beides zugleich.« Wieder ist Joel wütend auf Papa Samuel. Ein zwölfjähriger Junge besitzt zwei Radios. Papa Samuel, der schon über vierzig ist, besitzt nur eins. Und das ist viel älter als die beiden, die Ture hat. »Was
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