Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war

Titel: Joel 1 - Der Hund der unterwegs zu einem Stern war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
vergehen.
    Die Sommer vergehen immer schnell. Und der Frühling. Nur Herbst und Winter sind lang. Besonders der Winter scheint nie ein Ende zu nehmen. Nach Weihnachten geht es immer ein bißchen schneller als vor Weihnachten. Er muß sich damit abfinden, daß es langsam gehen wird. Daran ist nichts zu ändern. Dann denkt er wieder an die Eisenbahnbrücke. Die ist da draußen in der Dunkelheit und wartet auf ihn.
    Die ängstlichen Gedanken kommen wieder angekrochen, aber er schiebt sie beiseite. Ich werd's diesem Ture zeigen, denkt er. Ich werd's ihm schon zeigen.
    Papa Samuel schläft tief, als Joel kurz vor Mitternacht hinausschleicht.
    Es ist wieder kälter geworden. Der Schnee unter seinen Füßen ist gefroren. Der Sternenhimmel ist klar, und über den bewaldeten Hügelketten hängt der Mond, der alles blau erscheinen läßt.
    Joel bleibt stehen und betrachtet den Großen Bären. Das ist das einzige Sternbild, dessen Namen er kennt. Am südlichen Himmelsgewölbe gibt es ein Sternbild, das heißt Kreuz des Südens. Davon hat Papa Samuel erzählt. Nach diesem Sternbild haben die Seeleute vor langer Zeit navigiert. Das Kreuz des Südens kann man mitten in der Nacht, wenn ein warmer Wind weht, an Deck eines Schiffes sehen. Er kann sich nur schwer vorstellen, Sterne zu betrachten, ohne daß es kalt ist. Er geht hinunter zur Brücke.
    Falls Ture bei den Güterwaggons wartet, soll er da stehenbleiben, bis er kapiert, daß Joel direkt zur Brücke gegangen ist.
    Joel betrachtet die Brückenbogen und versucht, sie mit den Augen schrumpfen zu lassen. Sie sind gar nicht so hoch, sie sind gar nicht so schmal, wie sie wirken. Es dauert nur drei Minuten, dann ist man darüber gekrochen. Oder vielleicht fünf. Fünf Minuten sind nicht lange.
    Das ist eine so kurze Zeit des Lebens, daß man es kaum merkt.
    Jetzt sieht er, wie Ture vom Rangierbahnhof angelaufen kommt. Und jetzt ist es schwer, die Angst auf Abstand zu halten. Joel sieht sofort, daß Ture die große Heckenschere dabei hat.
    Da wird er wütend, und als er wütend ist, schrumpft die Angst. Sie verschwindet nicht, aber sie wird weniger. »Die Schere hättest du zu Hause lassen können«, sagt er. »Stell dich mitten auf die Brücke, damit ich dir auf den Kopf pissen kann.«
    Ture grinst. »Da kletterst du nie rüber«, sagt er. »Du wirst wieder runterrutschen.«
    »Das wirst du ja sehen«, sagt Joel. »Stell dich auf die Brücke.«
    Ture zuckt mit den Schultern und geht.
    Joel ist allein mit der Brücke. So groß wie jetzt ist sie noch nie gewesen.
    Joel steht bei der Verankerung der Brücke und schaut hinauf zu den gewölbten Bogen, die in der Dunkelheit verschwinden. Unter ihm liegt der zugefrorene Fluß. Jetzt muß er klettern. Nicht denken. Nicht nach unten gucken.
    Er klettert auf das Brückengeländer. Dort beginnt der breite Bogen. Wenn er die Arme so weit ausbreitet, wie er kann, schafft er es gerade, die äußersten Ränder zu fassen. So muß er es machen. Sich gegen den Brückenbogen pressen, sich an den Kanten festhalten und sich dann langsam hinaufarbeiten.
    Er legt die eine Hand gegen das Eisen. Die Kälte kriecht sofort durch seinen Fäustling. Er schließt die Augen und beginnt, nach oben zu robben.
    Die Eisennägel scheuern an seinen Knien. Zuerst bewegt er die eine Hand vorwärts. Dann das entgegengesetzte Bein. Dann die andere Hand und das andere Bein. Langsam, langsam… Um ihn herum ist es vollkommen still.
    Er hält die Augen geschlossen und rutscht weiter. Die eine Hand, das andere Bein. Das Eisen ist kalt, und er ist schon längst durchgefroren. Mit jedem Stück, das er sich weiter aufwärts bewegt, wird es schwerer, die Angst auf Abstand zu halten.
    Warum mach ich das bloß, denkt er verzweifelt. Ich schaff es nicht, ich werde runterfallen und mich zu Tode stürzen.
    Plötzlich hört er Ture rufen. Da wird ihm klar, wie hoch oben er schon ist. Tures Stimme klingt so weit entfernt. »Komm runter!« ruft er. »Komm runter!«
    Warum soll er runterkommen? Ture hat wohl Angst, er könnte es schaffen?
    Er kriecht weiter. Die Eisennägel reiben, und er spürt, wie seine Arme anfangen, gefühllos zu werden. Und dennoch kriecht er weiter.
    Papa Samuel, denkt er, das hier schaff ich nicht. Du mußt kommen und mir helfen.
    Da spürt er, daß der Brückenbogen ebener wird. Dann ist er ja auf dem höchsten Punkt der Brücke. Jetzt geht es abwärts. Jetzt muß er klettern und sich mit dem Kopf voran runterrutschen lassen.
    Da überfällt ihn Panik.
    Er kommt

Weitere Kostenlose Bücher