Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Teil der Antwort wußte er. Man konnte samstags abends ins Gemeindehaus zum Tanzen gehen, wenn Kringströms Orchester spielte. Außerdem hatte er in Büchern gelesen, wie man sich auch auf andere Art und Weise kennenlernen konnte. In den Märchen kletterten Prinzen an langen Zöpfen zu Prinzessinnen hinauf, die in hohen Türmen eingesperrt waren.
Aber im Ort gab es keine anderen Türme außer dem Kirchturm und dem roten Turm der Feuerwehr, wo die Feuerwehrleute ihre Wasserschläuche aufhängten. Joel hatte Schwierigkeiten sich vorzustellen, wie Gertrud ohne Nase oben im Feuerwehrturm saß.
Es gab noch mehr Arten, wie Erwachsene sich kennenlernten. Joel hatte viele Bücher gelesen, in denen beschrieben wurde, wie sich Leute kennenlernten und dann heirateten.
Aber nie wurde beschrieben, was Otto ihnen zwischen den Mülltonnen erzählt hatte. Wahrscheinlich war es zu langweilig, davon zu erzählen, vermutete Joel.
Man konnte sich in den Überresten eines Zuges kennenlernen, der in einen Hohlweg gestürzt war. Man konnte ein Mädchen aus einem Wasserloch im Eis ziehen und es dann heiraten. Man konnte sich eine schwarze Maske umbinden und ein Mädchen rauben.
Es gab viele Arten. Aber als Joel am Fuß des Hügels angekommen war und stehenblieb, um Atem zu holen, bevor er durch die Hintertür der Bierstube ging, hatte er gedacht, daß Gertrud den Mann, den sie bisher noch nicht gefunden hatte, wohl im Gemeindehaus treffen mußte. Joel setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke, wo er am wenigsten im Weg war. Sara war wieder mit einem Tablett voller Bierflaschen durch eine der Schwingtüren verschwunden. Er versuchte sich auszudenken, wie er Sara dazu bringen konnte, ihm zu helfen, ohne daß sie es merkte. Wenn er es schaffte, daß sie von den Männern draußen in der Bierstube erzählte, welche verheiratet waren und welche nett waren, dann könnte er hinterher den aussuchen, der am besten zu Gertrud paßte.
Aber was paßte eigentlich am besten zu Gertrud? Welcher Mann würde ihr gefallen?
In der Küche, wo Ludde die ganze Zeit solchen Krach an den Abwaschwannen machte, war Nachdenken schwer. Sara und die anderen Kellnerinnen liefen rein und raus, leerten Tabletts und beluden sie mit neuen Flaschen und Gläsern.
»Bald muß ich mich setzen«, sagte Sara und verschwand mit ihrem Tablett.
Die beiden anderen Kellnerinnen, die Karin und Hilda hießen, sagten dasselbe. »Bald müssen wir uns setzen und uns ausruhen.«
Joel sagte nichts. Er ärgerte sich, daß er mit dem Besuch in der Bierstube nicht gewartet hatte. Zuerst hätte er überlegen müssen, welche Art Mann Gertrud haben sollte. Dann hätte er sich ausdenken müssen, wie er Sara dazu bringen könnte, ihm zu helfen.
So war das oft bei Joel. Er vergaß nachzudenken, bevor er etwas anfing. Dann kam so etwas wie jetzt heraus. Und Ludde ließ ein Glas fallen, das auf dem gewürfelten Kachelfußboden zersprang…
»Jetzt«, rief Sara, warf das Tablett von sich und sank auf einen Stuhl. »Jetzt werd ich mich erholen!«
Sie goß sich Kaffee ein, steckte ein Stück Zucker in den Mund und begann zu schlürfen. Dann sah sie Joel an und lächelte.
»Ich bin so froh«, sagte sie. »Ich bin so froh, daß dir nichts passiert ist. Und wie die Kerle da draußen über den Unfall reden! Jetzt haben sie was, worüber sie sich die Köpfe heiß reden können. Jeder kennt Joel Gustafson.«
Joel wußte nicht, ob das gut oder schlecht war. Vielleicht würden sich die Leute auf der Straße nach ihm umdrehen und denken: Da geht Joel Gustafson, der vom Ljusdalbus überfahren worden ist, ohne eine Schramme abzukriegen.
Vielleicht würde er sogar einen Spitznamen bekommen. Wie Pferdehändler Under, der nur Wieher-Harry genannt wurde. Oder Hugo, der Elektriker und beste Eishockey-Spieler des Ortes. Wer wußte eigentlich, daß er Hugo hieß, wo jeder ihn nur den Schläger nannte.
Die Welt ist voller Spitznamen, dachte Joel. Schläger und Läuse-Franz und Pinsel-Karlson, der Maler war. Es gab einen Schornsteinfeger, der wurde Olle gerufen, obwohl er Anders hieß. Und der Bäcker wurde Fliege genannt, weil es so surrte, wenn er redete, denn ihm fehlte ein Schneidezahn. Ein Maurer wurde Pfui Spinne genannt, weil es das einzige war, was er sagte. Und der Propst, der Nikodemus hieß, wurde von den Leuten, die ihn kannten, Nicke genannt. Sonst sagte man nur der Propst. Dann gab es einen Skifahrer, der Schlittschuh-Nisse genannt wurde, und einen Bierfahrer, der Die Tonne genannt wurde. Aber am
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