Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
ihnen zeigte, daß er verstanden hatte, wovon die Rede war.
»Ich werd mich nie um eine prügeln, die Schuhe verkauft«, sagte er. »Nie.«
Da lachten sie noch mehr, und Hilda streichelte ihm über den Kopf. Joel versuchte, sich zu entziehen, aber sie ließ die Hand auf seinem Kopf liegen und zauste sein Haar. »Er ist genauso nett wie Rolf und David«, sagte sie. »Die Mädchen, die die mal kriegen, können von Glück sagen.«
Dann setzte sie sich zusammen mit Sara und Karin an den Tisch. Joel hörte zu, was sie so redeten. Er hatte gelernt, daß es manchmal wichtig war, Erwachsenen zuzuhören. Manchmal sagten sie Sachen, von denen man etwas lernen konnte. Das passierte nicht oft. Nur manchmal. Wie jetzt.
Denn plötzlich begriff Joel, daß sie über die beiden redeten, die am Tisch sitzen geblieben waren und sich überhaupt nicht um die Schlägerei gekümmert hatten. »Wenn man doch jünger wäre«, sagte Hilda seufzend und massierte ihre müden Füße.
»Wenn man wenigstens Söhne hätte wie sie«, sagte Karin.
Sara sagte nichts. Aber sie nickte und war derselben Meinung. Und die ganze Zeit klapperte Ludde in seiner Abwaschwanne.
Joel stand auf und wollte sich durch die Tür davonschleichen, ohne daß ihn jemand bemerkte. Er sah nicht den Scheuereimer, der neben seinem Stuhl stand. Er stolperte und fiel mit dem Kopf voran mitten zwischen die drei Kellnerinnen.
»Da kommt ein Junge geflogen«, sagte Hilda und lachte.
Joel merkte, daß er wieder rot wurde.
So oft wie heute war er noch nie rot geworden. Karin erhob sich, nahm ihr Tablett und ging wieder durch die Schwingtür hinaus.
Hilda verschwand im Lager und begann, neue Bierkisten hereinzuschleppen. »Was wolltest du mich fragen?« fragte Sara.
»Sieht einer von den beiden aus wie der Junge aus der Käsewerbung?« fragte Joel zurück.
Sara sah ihn erstaunt an. »Wie meinst du das? Käsewerbung? Wer von denen sieht aus wie Käsewerbung?« »David oder Rolf? Du kennst doch die Käsewerbung.« Da verstand sie, was er meinte. Sie lachte und schlug sich auf die Knie. »Du meinst David«, sagte sie lachend. »Er sieht wirklich aus wie dieser Blondschopf aus der Werbung. «
»Das wollte ich nur wissen«, sagte Joel. »Tschüs!« Dann lief er zur Tür hinaus, ehe Sara ihn mehr fragen konnte.
Draußen dämmerte es. Joel stellte den Jackenkragen auf und rannte zur Ecke, um auf die Kirchturmuhr zu sehen. Schon fünf!
Jetzt mußte er aber schnell nach Hause und die Kartoffeln aufsetzen. Papa Samuel kam nie später als sechs. Dann mußten die Kartoffeln fertig sein.
David und Rolf mußten warten. Jetzt hatte er es eilig…
Der Abend kam. Durch die Wand hörte Joel Papa Samuels Radio. Joel saß im Schneidersitz auf seinem Bett und schrieb in seinem Tagebuch, das er aus »Celestines« Glasvitrine genommen hatte.
Eigentlich schrieb er nicht. Er hatte schon wieder aufgehört.
»Heute hat es Krach gegeben in der Bierstube…« Mehr hatte er nicht geschrieben. Plötzlich fand er es albern, Tagebuch zu schreiben. Oder Logbuch, wie er das kleine Buch mit den schwarzen Deckeln früher genannt hatte. Er hatte angefangen zu lesen. Einige Seiten hatte er an den Rändern zusammengeklebt und einen roten Stempel darauf gemalt. Das bedeutete, daß sie für ein Jahr geheim waren. Aber er hatte sich nie darum gekümmert. Sein eigenes Tagebuch mit einem Geheimstempel zu versehen, das war eine Kinderei, die er sich jetzt, wo er bald zwölf wurde, nicht mehr erlauben konnte. SNEHDUZESI stand auf dem Umschlag.
Suche nach einem Hund, der unterwegs zu einem Stern ist. Sein geheimer Freund.
Er las hier und da im Buch, und er hatte ein Gefühl, als ob es schon lange her war, seit das alles passiert war, was er hier aufgeschrieben hatte. Dennoch war es kaum mehr als ein gutes halbes Jahr her. Nicht mal so lange.
Ihm gefiel nicht, daß die Zeit so schnell verging. Daß sich alles so rasch veränderte. Nicht zuletzt er selbst. Eigentlich wünschte er, alles bliebe immer so, wie es war. Man müßte einen Tag, der richtig gut gewesen war, selbst aussuchen und dann sagen dürfen: So soll es immer sein! Aber das ging ja nicht! Warum ging das nicht?
Joel seufzte und warf das Tagebuch vor sich aufs Bett. War es das vielleicht, wie man erwachsen wurde? Wenn man erkannte, daß es einen solchen Tag nicht gab, wonach sich nichts mehr ändern würde?
Sahen deswegen so viele Erwachsene so müde und schlecht gelaunt aus? Weil sie wußten, daß es so war?
Ungeduldig sprang er aus dem Bett und
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