Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
strickte. Eine kleine Katze spielte mit dem Garnknäuel neben ihren Füßen. Alles war so nah, daß Joel sogar erkennen konnte, daß es ein Paar Fausthandschuhe werden sollten. Rote Fäustlinge.
Aber wo war Rolf? Joels Blick wanderte zum nächsten Fenster.
Da war er!
Er stand in der Küche und wusch ab. Um die Taille trug er eine Schürze. Joel zog eine Grimasse.
Einen Mann, der abwusch, hatte er sich nicht gerade für Gertrud vorgestellt. Dann könnte es genausogut… Der Feind ist schwach, dachte er. Im Indianerlager waren im Augenblick nur alte Weiber. Er konnte zum General zurückkehren und ihm vorschlagen, zum Angriff überzugehen, bevor die Männer von ihrer Jagd von weit entfernten Prärien zurückkamen.
Eine Weile blieb er auf dem Dach sitzen. Aber nichts passierte. Die Frau auf dem Stuhl strickte. Das Kätzchen spielte. Und Rolf wusch ab. Als er damit fertig war, brachte er seiner Mutter eine Tasse Kaffee. Dann legte er sich aufs Sofa und las die Zeitung. Die gleiche Zeitung, die Samuel las. Nichts Spannendes. Nichts über Motoren oder Sport. Nur die normale Zeitung, die voller Bilder von Leuten war, die winkten oder sich die Hand gaben.
Joel begann zu frieren, und er sprang vom Dach. Rolf würde es nicht werden. Joel hatte fast Lust, ihm eine Geheimbotschaft zu schicken, in der stand, daß er nicht bestanden hatte. Eine Botschaft, die er mit seinem eigenen Blut unterzeichnen würde…
Langsam ging er zurück zur Straße und trottete nach Hause.
Was sollte er machen, wenn David, der Käsemann, genauso langweilig war?
Wie sollte er dann einen Mann für Gertrud finden? Er wußte es nicht…
Als er am nächsten Morgen erwachte, war die Erde weiß von Rauhreif.
Joel sah mißmutig aus dem Fenster. Auch wenn es noch kein richtiger Schnee und Winter waren, es war zu früh. Früher hatte Joel den ersten Schnee mit Spannung erwartet. Es war immer etwas Besonderes, wenn er an jenem Morgen das Rollo hochzog und den ersten Schnee sah. Aber nicht so früh im Jahr. Es war doch erst September. Auch Samuel seufzte.
»Jaja«, sagte er. »Bald stapft man wieder durch den Schnee.«
Joel dachte, er könnte ihm sagen, was er dachte. Daß, wenn Samuel nicht so dumm gewesen wäre und den Seemannsjob an den Nagel gehängt hätte, er jetzt auf einem schwankenden Deck unter dem Himmel der Karibik stehen könnte. Nicht nur er, auch Joel…
Aber er sagte nichts. Nicht, wenn er um das Geld bitten mußte, mit dem er die Fahrradreparatur bezahlen wollte.
Samuel holte sein Portemonnaie hervor und gab Joel fünf Kronen.
»Ich glaub, das reicht nicht«, sagte Joel. »Wahrscheinlich kostet es neun Kronen.«
Samuel seufzte und tauschte den Fünf-Kronen-Schein gegen einen Zehner aus.
Samuel seufzte immer, wenn Joel ihn um Geld bat. Joel hatte beschlossen, er würde nie seufzen, wenn die Kinder, die er vielleicht bekam, ihn um Geld baten…
Samuel verschwand im Treppenhaus, und Joel saß über seiner Kakaotasse. Er dachte an Rolf mit der Schürze. Hoffentlich war der Käsemann nicht genauso.
Er sah auf die Uhr und schoß hoch. Er hatte wieder zu lange getrödelt. Jetzt mußte er so schnell rennen, wie er nur konnte, um rechtzeitig in die Schule zu kommen. Er fluchte, als er die Jacke an sich riß. Warum lernte er es nie ?
Obwohl er lief, was er konnte, kam er zu spät. Die Tür zum Klassenzimmer war geschlossen, und er hörte das Harmonium. Er hängte seine Jacke an den Haken und setzte sich auf ein Fensterbrett im Korridor. Jetzt mußte er warten. Es war unmöglich, das Klassenzimmer zu betreten, während die anderen den Morgenpsalm sangen. Dann konnte er ganz sicher sein, daß Frau Nederström ihn an den Haaren zog.
Joel sah auf den Schulhof hinaus, der weiß von Rauhreif war.
Würde ihm eine gute Entschuldigung einfallen, warum er zu spät gekommen war? Sollte er dem Mirakel die Schuld geben? Daß er so schwer daran zu tragen hatte, daß er sich nur sehr langsam bewegen konnte?
Er schüttelte den Kopf über seine eigene Gedanken. Frau Nederström würde sich nicht täuschen lassen. Wenn sie richtig wütend wurde, konnte sie ihm befehlen, im Klassenzimmer herumzumarschieren, damit alle seine müden Beine sahen. Und Otto würde dasitzen und grinsen… Die Orgelmusik war verstummt. Joel sprang von der Fensterbank. Er hob die Hand, um an die Tür zu klopfen.
Da drinnen waren die Raubtiere, die nur darauf warteten, sich auf ihn zu stürzen.
Er ließ die Hand sinken.
Ich bin krank, dachte er. Die gute Tat, die ich
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