Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Jacke. Dann packte er Joel plötzlich an seiner Jacke. »Jetzt kriegst du eine Abreibung«, sagte er.
In dem Augenblick klingelte es. Die Pause war zu Ende. Otto ließ die Jacke los. »Ein andermal«, sagte er. »Ein andermal kriegst du Prügel, weil du soviel fragst.« Für den Rest des Schultages hatte Joel keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was Otto gesagt hatte. Frau Nederström war schlechter Laune, und Joel war nicht sicher, ob sein Mirakel ihn vor ihrem Zorn schützte. Als die Schule aus war, ging Joel zusammen mit ein paar Klassenkameraden zu Krages Autohandel, um ein neues Auto anzusehen, das dort ausgestellt war. Es war ein blitzblanker Pontiac. Sie standen lange davor und starrten durch die Schaufensterscheibe und überlegten, wer es sich leisten konnte, das Auto zu kaufen.
Es war schon spät, als Joel nach Hause kam und anfing, Kartoffeln zu waschen. In dem Augenblick fiel ihm auch ein, daß es der Tag war, an dem er sein Fahrrad abholen sollte, das zur Reparatur war. Wie konnte er das Fahrrad vergessen?
Er sah auf die Küchenuhr. Wenn er lief, konnte er es schaffen, bevor der Fahrradladen schloß. Aber dann fiel ihm ein, daß er heute morgen vergessen hatte, Samuel um Geld zu bitten. Und der Fahrradhändler räumte nie Kredit ein, das wußte Joel. Das Fahrrad mußte bis morgen warten.
Er setzte sich auf die Küchenbank und dachte über das nach, was Otto gesagt hatte. Mit wem sollte er anfangen? Rolf oder David? Ehe er wußte, welcher besser zu Gertrud paßte, mußte er sie ausspionieren.
Er sprang von der Bank, ging in den Vorraum und durchsuchte Samuels Taschen. In der einen fand er ein Fünf-ÖreStück. Er nahm es mit in die Küche und entschied, daß die große Krone Rolf und die Rückseite David bedeutete. Dann ließ er das Geldstück auf dem Küchentisch tanzen und herumtrudeln.
Die Krone lag zuoberst. Er mußte mit Rolf anfangen…
»Du bist abends aber verflixt oft unterwegs«, sagte Samuel nach dem Essen, als Joel anfing, seine Gummistiefel anzuziehen.
»Nur eine Weile«, sagte Joel.
»Wohin willst du ?«
Joel dachte rasch nach. »Eva-Lisa«, sagte er. Eine bessere Antwort fiel ihm nicht ein.
Samuel ließ die Zeitung fallen und blinzelte ihn über seine Lesebrille hinweg an. »Du bist aber oft bei ihr. Fängst du schon an, dich für Mädchen zu interessieren?« Joel wurde sofort rot. Er wandte Samuel den Rücken zu, als er seine Jacke anzog.
»Ja«, sagte er. »Vielleicht heirate ich sie in ein paar Jahren.« Dann ging er.
Aus den Augenwinkeln sah er, daß Samuel vor Überraschung die Kinnlade herunterfiel.
Das hat er davon, wenn er so eine überflüssige Frage stellt, dachte Joel zufrieden.
Draußen war es kühl. Der Himmel war klar, und die Sterne funkelten. Joel wußte nicht genau, wie er es anfangen sollte, Rolf nachzuspionieren, um herauszukriegen, ob er der geeignete Mann für Gertrud war.
Sollte er an der Tür klingeln, sich vorstellen und erklären, um was es ging? Daß er nach einem passenden Mann für Gertrud suchte? Daß es seine gute Tat sein sollte, mit der er das Mirakel ausgleichen wollte, das er erlebt hatte? Nein, so würde er es natürlich nicht machen. Rolf würde glauben, er sei verrückt.
Joel kroch durch ein Loch im Apothekenzaun, das er selbsteinmal mit einer alten Gartenschere hineingeschnitten hatte. Dann ging er an den Johannisbeerbüschen entlang, die den Hof des Möbelgeschäfts abgrenzten. Dort gab es einen kleinen Schuppen, auf den er klettern konnte. Vom Schuppendach konnte er das Haus hinter der Straßenbauverwaltung sehen, in dem Rolf mit seiner Mutter wohnte. Vorsichtig schlich er an den Johannisbeerbüschen entlang. Der Möbelhändler wurde leicht wütend. Joel hatte gelernt, sich vor ihm in acht zu nehmen. Er lauschte in die Dunkelheit. Dann zog er sich auf das Dach. Er hatte sich ausgerechnet, daß Rolf im Erdgeschoß wohnen mußte, da im ersten Stock eine alte Lehrerin wohnte. Mehr Wohnungen gab es nicht in dem kleinen Haus. Er spähte zu den Fenstern im Erdgeschoß. Jetzt wurde es spannend…
Langsam hob er den Kopf und sah zu den Feuern, die weit entfernt leuchteten. General Custer persönlich hatte ihm den Auftrag erteilt. Er durfte nicht zurückkehren, ehe er nicht jede Einzelheit im Lager der Indianer ausspioniert hatte. Wenn er erwischt wurde, das wußte er auch, gab es keine Rückkehr. Dann mußte er sterben…
Er konnte geradewegs durch die Fenster sehen. Die Vorhänge waren nicht zugezogen. Auf einem Stuhl saß eine Frau und
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