Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Bauchschmerzen hatte. Noch nicht sehr schlimm. Aber irgendwas zog da drinnen.
Er saß ganz still am Küchentisch und wartete, ob es schlimmer werden würde. Aber es blieb bei diesem schwachen Ziehen.
Er atmete auf. Bauchschmerzen mochte er nicht. Schmerzen zu haben tat weh. Wenn man richtige Magenschmerzen hatte, solche Schmerzen, daß einem die Tränen in die Augen traten, schmerzte der ganze Körper. Sogar die Gedanken im Kopf taten weh.
Er saß ganz still, um sich zu vergewissern, daß die Schmerzen nicht zunahmen. Langsam zählte er bis hundertdreiundzwanzig. Dann konnte er wirklich aufatmen. Heute würde er keine Bauchschmerzen kriegen.
Nichts war so schön, wie keine Schmerzen zu haben. Plötzlich war er voll Unternehmungslust. Jetzt würde er den großen Plan entwerfen. Wie konnte er Gertrud und den Käsemann zusammenbringen?
Erneut ging er in Gedanken durch, was er in Büchern darüber gelesen hatte, wie sich Erwachsene kennenlernten und beschlossen zu heiraten. Aber von all dem, woran er sich erinnerte, war nichts gut.
Samuel und Mama Jenny fielen ihm ein. Sie hatten einander Briefe geschrieben. Das hatte Samuel einmal erzählt. Einmal hatte sein Schiff in einer Werft in Göteborg zur Reparatur gelegen. Zusammen mit ein paar anderen Seeleuten war Samuel an einem Abend an Land gegangen. Auf einem Fußweg war er gestolpert und Mama Jenny geradewegs in die Arme gefallen.
So konnte man sich also kennenlernen und einen Sohn bekommen, der Joel hieß und der ein Mirakel erlebte. Man stolpert auf einem Fußweg und fällt auf jemanden. Und dann schreibt man sich Briefe.
Samuel hatte erzählt, daß er Mama Jenny damals auf dem Fußweg dazu überredet hatte, ihm ihre Adresse zu geben. Dann hatte er ihr aus allen ausländischen Häfen geschrieben. Und in einem Brief hatten sie ein Treffen irgendwo in Göteborg verabredet. In einem Park hinter einer Statue. Joel überdachte das Ganze langsam.
Es so zu arrangieren, daß der Käsemann auf einem Fußweg stolperte und Gertrud geradewegs in die Arme fiel, war wohl zu schwer. Also mußte er mit den Briefen anfangen.
Sie könnten einander geheime Briefe schreiben und ein geheimes Treffen verabreden. Dann würde sicher alles von selbst gehen.
Geheime Briefe, die Joel Gustafson schreiben würde.
Aber wie schrieb man so einen Brief eigentlich? Das wußte er nicht.
Die Bibliothek, dachte er. Dort muß es ein Buch geben, das von geheimen Briefen handelt. So ein wichtiges Buch mußte es einfach geben!
Er sah auf die Küchenuhr. Es würde noch Stunden dauern, ehe Frau Arvidson die Bibliothek öffnete. Er mußte sich gedulden…
Um vier Uhr waren nur noch zweiundsiebzig Bonbons übrig. Da stürmte er die Treppe hinunter und radelte zur Bibliothek.
Frau Arvidson, die Bibliotheksleiterin, war sehr streng. Immer fand sie, daß man die verkehrten Bücher auslieh. Außerdem verbot sie Kindern, die Bücher auszuleihen, die sie gern wollten. Mehrere Male hatte Joel Bücher über Mord und andere Verbrechen auf ihren Tresen gelegt. Dann hatte sie jedesmal den Mund verzogen und gesagt, sie wären für Kinder verboten.
Joel konnte sich nicht vorstellen, daß ein Buch darüber, wie man geheime Briefe schrieb, für Kinder verboten war. Warum sollte man warten müssen, bis man fünfzehn war, ehe man das lernte?
Trotzdem hatte er beschlossen, vorsichtig zu sein. Lautlos öffnete er die Tür, machte einen tiefen Diener und zog die Stiefel aus. Dann ging er zwischen den Regalen hin und her und nahm einige religiöse Bücher heraus. Mit ihnen auf dem Arm kehrte er zum Ausleihtresen zurück. Frau Arvidson musterte die Buchtitel und nickte zufrieden. Dann begann sie zu stempeln. Jetzt war es soweit. »Ich suche noch ein Buch, in dem steht, wie man geheime Briefe schreibt«, sagte Joel.
Frau Arvidson sah ihn verständnislos an. »Geheime Briefe?«
»Liebesbriefe«, sagte Joel. »Geheime Liebesbriefe.« Plötzlich fing Frau Arvidson an zu lachen. Joel dachte, daß er bestimmt der erste Mensch auf der Welt war, der sie lachen hörte. Rundherum schauten erstaunte Gesichter zwischen den Bücherregalen hervor. Frau Arvidson lachte. Sie jaulte vor Lachen.
Sie lachte, bis Joel auch anfing zu lachen. Da wurde sie wütend.
»Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe«, sagte sie. »Ein Buch darüber, wie man geheime Briefe schreibt. Natürlich gibt es so ein Buch nicht.«
»Liebesbriefe«, versuchte Joel noch einmal. »Mein Papa will das haben, nicht ich.«
Papa Samuels Namen zu benutzen
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