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JörgIsring-UnterMörd

Titel: JörgIsring-UnterMörd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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hoch oben am Himmel, unbelastet von den Widrigkeiten des Alltags. Jedes
Klischee über die Fliegerei hätte er sofort als wahr unterschrieben. Als Pilot
hatte es ihn, sobald er festen Boden unter den Füßen spürte, immer wieder in
die Wolken getrieben. Es brannte da eine diffuse Sehnsucht in ihm, wie ein
Durstgefühl, das kein Getränk dieser Welt stillen konnte. Dieses ewige
Verlangen war einer der Gründe gewesen, warum er damals mit dem Morphium
angefangen hatte, das und die ewigen Schmerzen, eine Folge der
Schussverletzung, die er sich 1923 nach dem Putschversuch zugezogen hatte. Im
stillen Zwiegespräch mit sich selbst behauptete er, seine Sucht unter
Kontrolle zu haben. Wenn er allerdings ehrlich mit sich ins Gericht ging, beschlichen
ihn Zweifel. Oft konnte er den Dingen nicht mehr folgen, entwickelten sie eine
Dynamik, der er nicht mehr gewachsen war. Das Morphium half ihm, alles etwas zu
verlangsamen. Zum Beispiel die Sache mit der Luftwaffe. Seinem Baby, als
Luftfahrtminister. Die Luftwaffe war ein entscheidendes Element der strategischen
Planung, sie war die Speerspitze der Deutschen Wehrmacht und damit
kriegsentscheidend. Regelmäßig musste Göring Hitler die aktuellen Zahlen
vorlegen, seinen Auftrag, die Luftwaffe zur größten in Europa, wenn nicht der
Welt aufzubauen, legitimieren. Dabei hatte er die Zahlen etwas großzügig
interpretiert, ein paar Messerschmitts hier und ein paar Fokker da leicht
aufgerundet. Göring wunderte es selbst manchmal, wie fabelhaft die Luftwaffe
auf dem Papier aussah. Es war ihm fast peinlich. Aber er sonnte sich gerne im
Glanz der atemberaubenden Zahlen, deren abstrakte Größe sich in den Gesprächen
mit Hitler in eine konkrete, überlegene Kraft verwandelte - bis Göring
siedendheiß einfiel, wie es tatsächlich um seine Truppen stand. Bisher war
alles gutgegangen, war es nicht zur Feuerprobe gekommen. Die Legion Condor
hatte zwar in Spanien ganze Arbeit geleistet, aber das war eben nur eine Legion
gewesen. Göring hoffte, es würde keiner auf die Idee kommen, die Zahlen zu
überprüfen. Er schalt sich einen Idioten. Wer sollte das schon sein? Wer wollte
alle Fakten zusammentragen? Ohne dass er über das Forschungsamt davon erfuhr?
Unmöglich. Und außerdem: Die Luftwaffe war vielleicht nicht so stark, wie sie
auf dem Papier erscheinen mochte, doch sie war stark genug - für den Anfang.
    Göring hoffte,
dass ihm noch ein paar Jahre Zeit blieben, bis seine Flieger gefordert wurden.
Auch wenn vieles dagegen sprach. Daher erschien es ihm klug, sich frühzeitig
abzusichern. Birger Dahlerus kam ihm sehr gelegen. Der Schwede war seine Rückversicherung,
aufzusparen für den richtigen Augenblick. Dahlerus glaubte an das Gute im
Menschen und war beseelt, ja, fast besessen von der Idee, den Frieden in Europa
zu bewahren. Das verstellte ihm den Blick für die politischen Realitäten.
Göring konnte seiner Ansicht nach dabei nur gewinnen. Solche Situationen
mochte er am liebsten. Egal, wie er es drehte und wendete, er zog sich elegant
aus der Affäre. In Hitlers Augen hielt Göring die Engländer hin, verwickelte
sie in langwierige Verhandlungen, schürte die Hoffnung auf eine friedliche
Lösung der Konflikte, vielleicht sogar eine Partnerschaft. Das lähmte den
Willen der Briten, sich einzumischen ins heraufziehende Getümmel. In den Augen
der Engländer wiederum setzte sich der Feldmarschall für den Frieden ein,
positionierte sich sogar als Alternative zum Führer. Für die Briten war Göring
damit der Mann, den sie als den berechenbarsten einschätzten; sollten sie je
vor die Wahl gestellt werden, wen sie an Deutschlands Spitze sehen wollten, so
würden sie ihn unterstützen.
    Göring, die Glieder in dem bequemen Sessel entspannt von sich gestreckt,
lächelte breit. Es machte sich bezahlt, sich für den Frieden zu engagieren -
selbst wenn am Ende doch der Krieg ausbrechen würde.
    Er drehte den Kopf zum Fenster, sah unter sich deutsche Landschaften
vorbeiziehen. Nur wenige Wolken behinderten die Sicht, zumeist war der Blick
frei auf Felder, Wiesen und Äcker. Göring schätzte die Ju, ihr gemächliches
Tempo, das ihm viel Zeit ließ, sich zu sammeln. Sie hatten jetzt ungefähr die
Hälfte des Weges zurückgelegt, noch zwei Stunden, und die Maschine würde in Berchtesgaden
aufsetzen.
    Wieder übermannten den Feldmarschall Fluchtphantasien. Vielleicht sollte er
nach vorne gehen, das Steuer an sich nehmen und einfach weiterfliegen, so
lange, bis der Sprit ausging. Göring

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