JörgIsring-UnterMörd
Minuten dazu stoßen. Darf ich Sie jetzt alleine lassen, Herr
Feldmarschall? Sie kennen sich ja bestens aus.«
»Aber sicher doch, Schaub. Bin ja praktisch hier zu
Hause.«
Gewitterwolken türmten sich drohend über dem Anwesen auf, ab und zu rollte
ein gewaltiger Donner über die pittoreske Landschaft mit ihren stolzen
Gipfeln. Noch regnete es nicht. Göring ging über die Terrasse, grüßte kurz nach
links und rechts, schüttelte ein paar Hände, wechselte ein paar Worte und
betrat die Räume des Berghofs. Hätte er den Weg nicht gekannt, so hätte ihm das
Stimmengewirr den Weg gewiesen. Nach wenigen Minuten erreichte er die mit
kostbaren Gobelins geschmückte Große Halle. Hier empfing Hitler gerne
Staatsgäste und ließ sie zu Kreuze kriechen. Kurt Schuschnigg, der österreichische
Bundeskanzler, hatte hier vor einem Jahr ein Abkommen unterzeichnet, mit dem
er das Ende eines souveränen österreichischen Staates besiegelte. Jetzt war der
Raum voll mit Generälen, die kerzengerade in ihren Sonntagsanzügen steckten
und darauf warteten, dass Hitler zum Halali blies. Zwischen ihnen wuselten
eifrig Hausangestellte mit beladenen Tabletts. Göring entging nicht, wie ihn
einige der Anwesenden kritisch beäugten, tat aber so, als wäre es das Normalste
der Welt, mit einem Lederwams bekleidet inmitten von graumelierten Anzugträgern
zu stehen. Erst als er Erich von Mansteins verdutztes Gesicht sah, schwante ihm
Schlimmes. General von Manstein stammte aus einer alten Offiziersfamilie und
hielt sich für etwas Besseres; sein großkotziges Auftreten war Göring schon
lange ein Dorn im Auge, doch der General galt als hervorragender Offizier und
wähnte sich wohl zu Recht unter Hitlers Schutz.
Göring drehte ab,
doch es war zu spät. Von Manstein hob den Arm und grüßte mit seinem Sektglas.
Seine Stimme dröhnte durch die ganze Halle.
»Heil Hitler, Herr Göring. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie heute
für den Saalschutz verantwortlich sind?«
Das spöttische Murmeln, das Göring hörte, ging im Rauschen des Blutes
unter, das seine Wut durch den Körper pumpte. Von Manstein war einen Schritt zu
weit gegangen. Ihn vor allen Leuten lächerlich zu machen, das war ein Affront,
den er sich nicht bieten lassen konnte. Zum Teufel mit diesem Arschloch! Er
würde ihn in Stücke reißen. Göring öffnete gerade den Mund, um auf von
Mansteins Provokation zu antworten, da applaudierten alle Männer artig. Göring
schloss seinen Mund wieder. Der Applaus galt nicht ihm, so viel war klar.
Hitler, festlich gekleidet mit weißer Uniformjacke und grauen Hosen, hatte den
Raum betreten und sich neben dem Flügel aufgebaut. Dort legte er ein paar
Papiere ab und wartete darauf, dass der Applaus verebbte. Er nickte den
Anwesenden zu. Seine Haare klebten wie immer fest am Kopf. Göring erinnerte
sich beim besten Willen nicht daran, Hitlers Frisur jemals zerzaust gesehen zu
haben. Normal war das nicht. Aber was war das schon?
Der Führer starrte missbilligend in die Runde und wartete, bis auch das
letzte Murmeln verstummt war. Dann reckte er sein Kinn energisch gen Saaldecke.
»Ich habe Sie heute hier zusammengerufen, um Ihnen die politische Lage
darzulegen und Sie mit meinen Entschlüssen vertraut zu machen. Dazu gehört auch
die Erörterung von militärischen Details. Früher oder später, das war mir von
Anfang an klar, musste es zu einer Auseinandersetzung mit Polen kommen. Ich
habe den Entschluss bereits im Frühjahr gefasst, dachte aber, dass ich mich in
einigen Jahren zunächst gegen den Westen und dann gegen den Osten wenden würde.
Aber die Zeitfolge lässt sich nicht immer festlegen. Polen strebt den Zugang
zum Meer an. Bei einer Auseinandersetzung mit dem Westen würde Polen uns angreifen,
das wurde mir klar. So musste ich mich von meinen ursprünglichen, mir sehr
sympathischen Plänen verabschieden.«
Göring spürte, wie seine Augenlider schwer wurden. Die schnarrende Stimme
Hitlers schläferte ihn ein. Vor allem die Grundsatzreden des Führers dauerten
oft endlos, besaßen kaum inneren Zusammenhalt und wiederholten einen Gedanken
oft mehrfach. Bereits nach wenigen Minuten schaltete Göring regelmäßig ab.
Diesmal erschien vor seinem geistigen Auge General von Manstein. Genüsslich
stellte sich Göring dessen dummes Gesicht vor, wenn er ihm befehlen würde, aus
dem Flugzeug zu springen - ohne Fallschirm. Herrlich! Er spähte in der Halle herum,
doch er schaute nur auf akkurat ausrasierte Hinterköpfe. Von Manstein konnte
Weitere Kostenlose Bücher