JörgIsring-UnterMörd
niemand von einer
solchen Audienz unbeeindruckt geblieben. Ich bin wirklich gespannt.«
Mittlerweile rollte Görings Sonderzug durch die ausgedehnten Wälder des
Wildparks Werder bei Potsdam wieder zurück Richtung Berlin. Auf dem Gelände
des Wildparks unterhielt der Feldmarschall sein Hauptquartier, Deckname
»Kurfürst«, eine weitläufige Bunkeranlage, dreißig Meter unter der Oberfläche
in den Fels gesprengt. Sie war mit allem ausgestattet, was man zum Überleben
brauchte, einer modernen Funk- und Kommandozentrale sowie einem umfangreichen
Waffenarsenal. Bis nach Berlin war es eine gute Stunde; Göring ließ den Zug
jedoch vor der Stadt an einer kleinen Station anhalten, einen Wagen hatte er
bereits dorthin beordert.
Trotz der späten Stunde war es warm, die Luft roch nach frischem Gras.
Göring liebte den Sommer, auch wenn die Hitze das Leben für ihn manchmal
beschwerlich machte. Er spürte, wie diese animalische Lust wieder in ihm
aufstieg. Schade, dass Emmy nicht da war. Er bat Dahlerus einzusteigen und
gondelte mit ihm durch die Außenbezirke in Richtung Reichskanzlei. Bester Laune
skizzierte er die neue Freundschaft zwischen Russland und Deutschland,
beobachtete Dahlerus dabei aus den Augenwinkeln. Er hatte eine diebische Freude
daran, seinen Gesprächspartner mit Zwischenfragen zu verunsichern. So wollte er
erreichen, dass der Schwede nervös wirkte, wenn er mit Hitler sprach. Umso
souveräner sah Göring selbst aus und konnte sich besser in Szene setzen sowohl
als Mentor des Schweden als auch als Initiator des Vermittlungsversuches, der
in Hitlers Augen vor allem eine Hinhaltetaktik war.
Der Feldmarschall zwinkerte Dahlerus zu. »Soll ich Ihnen mal was erzählen?
Stalin hat sogar zugestimmt, dass im Kreml fotografiert werden darf.
Ribbentrop hat gleich ein ganzes Album mitgebracht. Leider ist der hässliche
Knabe auf den meisten Bildern selber drauf.« Göring wieherte laut. »Immerhin
existiert ein Foto, auf dem Ribbentrop den Nichtangriffspakt mit Molotow
unterzeichnet. Das ist sozusagen der Beweis.«
Dahlerus lächelte
verkrampft. Zwei Minuten später hielt Göring vor dem Hotel Esplanade.
»Warten Sie hier, mein lieber Dahlerus. Ich sondiere die Lage, bereite
Hitler auf das Gespräch vor und lasse Sie abholen. Sie wissen, einen Mann wie
den Führer möchte man nicht im Pyjama treffen.« Göring kicherte.
Dahlerus schaute ihn entgeistert an.
»Ein Witz, Dahlerus, ein Witz. Bis später.«
Der Schwede stieg aus und betrat das Hotelfoyer. Es
war fünf Minuten vor Mitternacht. Zwei Angestellte an der Rezeption warteten
auf Nachtschwärmer. Dahlerus nahm auf einem breiten Ledersessel Platz. Er
fragte sich, ob es klug war, mitten in der Nacht mit Hitler zu reden. Dieser
Mann schien tagsüber schon ein schwerverdaulicher Brocken, wie sollte es erst
zu derart ungastlicher Stunde sein?
Während der Schwede vor sich hingrübelte, betraten zwei SS-Männer das
Hotel. Sie sondierten das Foyer, gingen auf den Unterhändler zu und
salutierten.
»Herr Dahlerus, der Führer lässt bitten.«
9.
Berlin
26. August Innenstadt, früher
Nachmittag
Plan B hieß Leonard, kurz Leo Maybaum, und war einer der wichtigsten
V-Männer des elften Dezernats. Krauss hatte ihn selbst angeworben. Maybaum
besaß beste Kontakte zu sozialdemokratischen und kommunistischen
Widerstandsgruppen und Kampfzellen. Über die Jahre waren sich Krauss und
Maybaum allmählich nähergekommen, wechselten gelegentlich private Worte,
spürten Sympathie füreinander. Zwischen beiden wuchs etwas heran, das Krauss
nicht richtig benennen konnte, dessen Belastbarkeit aber einer harten Probe
unterworfen wurde, als er jede Hilfe benötigte, um den »Söhnen Odins« zu
entkommen. Er hatte Glück. Maybaum besorgte Krauss, Hanna und dem Jungen erst
eine sichere Wohnung und später einen Wagen, um sie außer Landes zu schaffen.
Der V-Mann spielte ein gefährliches Spiel, in jeder Hinsicht. Seine
Spitzeldienste beruhten auf getürkten Informationen; in Wirklichkeit arbeitete
er mit den Gruppen zusammen, die zu bespitzeln er vorgab. Es war ein ständiges
Balancieren am Abgrund. Aber Maybaum, ein angesehener Hutmacher, hatte den
Intellekt, die Besonnenheit und Intuition, sein gefährliches Doppelleben zu
verschleiern. Nur Krauss ahnte etwas von Maybaums wahren Aktivitäten. Als der
abtrünnige Sohn Odins ihm sein eigenes Dilemma schilderte, tat der zwanzig
Jahre ältere Mann etwas, was gegen alle Vernunft war und ihn sein Leben hätte
kosten
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