JörgIsring-UnterMörd
Schmerzen vor allem darauf, die Zündapp
unfallfrei zu bewegen. Oda allerdings wusste genau, wo sie hinwollte, zumindest
gab sie ohne zu zögern die Richtung an.
Nach einer Weile stießen sie auf einen breiteren Weg, der sie zu einer
großen Lichtung führte. Krauss stoppte die Zündapp. Am Ende der Lichtung stand
ein Gebäude. Nicht irgendeine kleine Hütte, sondern ein riesiges Anwesen. Von
ihrer Perspektive aus schauten sie auf die mächtige Front. Einige Fenster waren
erleuchtet. Das Motorrad tockerte im Leerlauf.
Krauss beugte sich zu Oda hinüber. »Ist das unser
Ziel?«
Sie nickte.
»Wer wohnt dort?«
»Fahren Sie einfach.«
Krauss überlegte
eine Sekunde. Der Besitzer eines solchen Hauses war nicht irgendwer. Was hatte
das für ihn zu bedeuten? Er zögerte.
»Was ist los?«
Oda schlug mit
der flachen Hand auf den Beiwagen. Krauss antwortete nicht, sondern fuhr
einfach los. Je näher sie dem Anwesen kamen, desto größer erschien es. Krauss
entdeckte jedoch nirgendwo eine menschliche Seele. Kein Wachpersonal, kein
schützender Zaun, die Sache wurde immer merkwürdiger. Der Weg brachte sie
direkt vor den Haupteingang. Zumindest jetzt hätte sie jemand in Empfang nehmen
müssen, denn der Lärm des
Motorrads hallte unüberhörbar über die Lichtung. Nichts rührte sich. Fünf
Meter vor dem Gebäude hielt er die Maschine erneut an. Der Lichtkegel der
Zündapp erfasste die Front, die in Krauss' Augen merkwürdig flach wirkte.
Selbst die erleuchteten Fenster sahen seltsam blass aus. Mit dem Haus stimmte
etwas nicht.
Oda fasste an sein Bein. »Fahren Sie zwischen das zweite und dritte Fenster
rechts neben dem Hauptportal.«
Krauss stellte keine Fragen mehr und tat, wie ihm geheißen. Vor der Wand
zwischen den Fenstern bremste er. Oda stieg aus dem Beiwagen, ging zur Hauswand
und machte sich dort zu schaffen. Plötzlich schnappte ein Spalt in der Wand
auf. Oda drückte dagegen. Es war ein großes Tor, dessen Verschluss sie vorher
betätigt hatte. Sie winkte Krauss.
»Fahren Sie durch!«
Er sah sie nur an.
»Tun Sie es einfach. Rasen Sie nicht, halten Sie Schritttempo. Und glotzen
Sie mich dabei nicht so blöde an.«
Krauss fuhr in das Innere des Gebäudes. Zwei Soldaten richteten ihre
Maschinengewehre auf ihn. Sie wirkten unaufgeregt, erwarteten sie
offensichtlich. Oda nickte den Männern zu. Als er die geheime Tür passiert
hatte, bedeutete sie ihm anzuhalten. Er stoppte die Maschine und schob die
Brille hoch. Das vermeintliche Haus bestand aus einer für ihn zunächst wirren,
weil unübersichtlichen Konstruktion aus Balken. Es existierten weder Flure noch
Zimmer oder Möbel. Das Ganze war eine Attrappe. Eine gigantische Attrappe. Ein
Potemkinsches Dorf. Einer der Soldaten hatte das Tor hinter ihm geschlossen.
Oda fummelte fluchend an ihrem verletzten Arm herum und wandte sich an Krauss.
»Steigen Sie ab und gehen Sie voran. Da lang.« Oda wies mit der
Maschinenpistole durch die Balken an der Hausfront entlang. Krauss sah sich interessiert
um, beeindruckt von dem Aufwand, der hier betrieben wurde. Was ihm gerade noch
wirr erschienen war, hatte nur mit der Menge des verbauten Holzes zu tun. Es
war ein tadelloses Gerüst, durch das er hier spazierte. Aber eben nur ein
Gerüst. Die erleuchteten Fenster, die er von außen gesehen hatte, waren Lampen
hinter transparenten Folien. Dieses Haus sollte von etwas ablenken. Mit einem
Mal begriff Krauss, wo er sich befand.
»Stehenbleiben. Öffnen Sie die Luke zu Ihren Füßen.«
Krauss stand vor einer
in den Boden eingelassenen Stahltür. Er beugte sich runter und zog sie auf. Der
Schmerz, der ihn die ganze Zeit dumpf umklammert hielt, schnürte ihm die Luft
ab. Er keuchte.
»Gehen Sie runter!«
Hinter der Tür lag eine Treppe, die in die Dunkelheit führte. Wieder ein
Keller, dachte Krauss. Er hatte sein Leben in den Untergrund verlegt.
Vorsichtig tastend bewegte er sich die Stufen hinab. Oda war direkt hinter
ihm. Er hörte, wie sie einen Schalter umlegte. Licht flackerte auf. Die Treppe
mündete in einen breiten Gang, von dem mehrere Türen abgingen.
Oda kannte sich aus.
»Nehmen Sie die dritte Tür von rechts.«
Krauss öffnete
die Tür und betrat den dahinterliegenden Raum. Er war gemütlicher eingerichtet,
als er vermutet hatte, mit einem kleinen Sofa und zwei Sesseln, einem schmalen
Bett und einem Regal mit mehreren Büchern. Sogar ein Bild hing an der Wand,
eine Luftkampfszene aus dem Weltkrieg. Krauss blieb mitten im Raum stehen und breitete
die
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