JörgIsring-UnterMörd
Knochen, jede Faser seines Körpers
schmerzte. Er tastete seine Rippen ab, befühlte seine Lippe. Nur Schwellungen,
keine Brüche. Sein Schädel brummte. Nach dem langen Liegen war ihm leicht
schwindelig.
»Haben Sie wieder ein paar Leichen für mich drapiert?«
Oda grinste.
»Allerdings. Mit dem kleinen Unterschied, dass die Männer diesmal wirklich tot
sind. Bis auf einen. Gehen Sie doch mal nachschauen.«
Krauss ging voran durch den Gang bis zur Stube, in der Edgar ihn ein paar
Stunden zuvor empfangen hatte. Ein Mann saß auf einem Stuhl, sein Kopf lag auf
der Tischplatte, als würde er schlafen. Ein anderer hing ihm gegenüber quer
auf der hölzernen Sitzbank. In seiner Stirn klaffte ein Loch, aus dem Blut
sickerte. Vor dem Ofen saß Grünberg, die Hände mit Handschellen an den Griff
der Ofenklappe gekettet. In seinem Mund steckte ein Knebel. Grünbergs Augen
irrten zwischen Krauss und Oda hin und her, vollkommen verwirrt - und
ängstlich. Wenn das alles ein Täuschungsmanöver war, dann war es sehr
ausgeklügelt, dachte Krauss.
Sein Bruder war
sicher bereit, Opfer zu bringen, aber das ging zu weit.
Vielleicht tat Krauss Oda Unrecht. Sie stellte sich zwischen ihn und
Grünberg, wahrte aber genug Distanz, um gegen eine plötzliche Attacke
gewappnet zu sein.
»Ihr kennt euch ja bereits.« Oda blickte Krauss kühl an. Hinter ihrem
markigen Auftreten meinte er plötzlich einen Schimmer Traurigkeit, einen
Abgrund aus Kummer zu spüren. Sie war eine Verlorene - wie er. »Ich wollte
Ihnen die Genugtuung verschaffen, zuzusehen, wie einer ihrer Folterknechte
dafür bezahlt, was er Ihnen angetan hat. Und natürlich möchte ich Ihnen
beweisen, dass ich es diesmal ernst meine. Keine faulen Tricks, kein doppelter
Boden. Nur eine Kugel. Wir wissen beide, dass das Schwein damit viel zu gut
wegkommt.«
Oda richtete ihre
Waffe auf Grünbergs Kopf. Der Nazi stöhnte laut und wand sich in seinen Ketten.
Krauss schrie auf. »Nein! Warten Sie, Oda! Er weiß, wo ich Edgar finde.
Und er wird es mir sicher erzählen. Nicht wahr, Franz?«
Grünberg zappelte
hektisch, sah dabei nervös zu Oda herüber. Sie wirkte unschlüssig.
Krauss nickte ihr zu. »Nehmen Sie ihm den Knebel
raus.«
»Machen Sie es gefälligst selbst.«
Krauss ging auf Grünberg zu. Kurz bevor er ihn
erreicht hatte, schoss Oda dem Nazi in die Stirn. Sein Kopf knallte gegen die
Ofenklappe und fiel schlapp nach hinten.
Krauss fuhr erschrocken zurück. »Sind Sie wahnsinnig? Was soll das?«
»Nun wissen Sie, dass ich es ernst meine. Tun Sie nicht so scheinheilig.
Sie hätten ihn auch getötet, wenn er Ihnen das verraten hätte, was Sie wissen
wollen.«
Krauss biss die Zähne zusammen. Es war alles schlimmer, als er angenommen
hatte, und offensichtlich permanent steigerungsfähig. Oda gab sich zumindest
große Mühe, die Lage zu verschärfen. Sie betrachtete ihn kritisch von der
Seite.
»Grünberg hätte Ihnen nichts erzählen können, was ich nicht längst weiß.
Das sollte Ihnen doch klar sein, oder?«
»Sie wissen, wo Edgar sich versteckt hält?«
»Ich weiß alles über Edgar.«
Krauss stützte sich am Küchentisch ab. »Bringen Sie mich zu ihm.«
»In Ihrem Zustand? Das ist doch lächerlich. Wenn Sie ihn erschrecken
wollen, bitteschön. Zu mehr wird es nicht reichen.«
Krauss atmete tief durch. Sein Brustkorb fühlte sich an, als hätte man ihn
als Trommel benutzt. Was ja auch irgendwie stimmte. »Also bleibt mir keine
andere Wahl, als mitzukommen. Das wollen Sie mir doch damit sagen.«
»So in etwa. Wobei wir vorher noch drei kleine Probleme lösen müssen.«
Krauss sah sie fragend an.
Oda wedelte mit ihrer Pistolenhand. »Zwei Wachleute, zwei Motorräder.«
Er runzelte verständnislos mit den Augenbrauen. »Ich weiß nicht, wie man so
ein Ding fährt.«
Mut umschrieb Odas Verhalten für Krauss nur unzureichend. Sie stürzte sich
in ein Abenteuer, ohne dessen Risiken eingehend abzuwägen. Wenn ihr der
Zeitpunkt günstig erschien, schlug sie zu, in der Hoffnung, ihre Kaltblütigkeit
würde sie retten. Krauss kannte so ein Verhalten von sich selbst, wobei er eher
der analytische, abwägende Typ war. Erst seit Hannas Tod handelte er offensiver,
rücksichtsloser gegenüber seinem eigenen Schicksal. Vielleicht hatten Oda und
er mehr gemeinsam, als er dachte. Er vertraute ihr noch lange nicht, dafür war
es zu früh, aber sie schien es diesmal ernst zu meinen. Fragte sich nur, was
da, wo sie ihn hinbringen wollte, auf ihn wartete. Schlimmer als
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