Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Roman (German Edition)
er drehte sich zu ihr um und antwortete: »Du hast recht, ich komme gleich.« Er wartete, wollte gleich aufstehen, blieb noch einen Moment sitzen. Der Bildschirmschoner schaltete sich ein, es wurde dunkel im Zimmer. Kleine weiße Punkte bewegten sich langsam durch das Schwarz eines simulierten nächtlichen Firmaments. Auch diesen Himmel, dessen zurückgenommene Reizlosigkeit ihm immer angenehm gewesen war, hatte er noch nie bewusst gesehen: ein All als dunkles Nichts und unzählbar viele Sterne, die aus der Tiefe des Raums auftauchten, im Näherkommen langsam größer wurden und seitlich weg ins Nirgendwo hinaus verschwunden waren, Reise ans Ende welcher künstlichen Nacht? Die innere Unendlichkeit des Ich, ein Abgrund, von der Zukunftslosigkeit der Existenz im Jetzt bewirkt, das war der von diesem Bild hervorgerufene Gedanke, dem Holtrop sich aber nicht wehrlos überlassen wollte. Er schaute vom Computerbildschirm weg, stand auf und ging ans Fenster. »Gut«, dachte er aufgebracht, »es ist ja gut.«
IV
HAMBURG . Der aktuell das Gesellschaftsressort des Spiegel verantwortende Unter hatte Schmidt auf eine kleine Besprechung zu sich gerufen, und Schmidt stand in dem engen Ressortleiterkabuff vor seinem Chef, der die Beine demonstrativ entspannt auf den Stuhl vor sich gelegt hatte und nach hinten gelehnt dasaß, dicke rote Hosenträger über dem dick blauweiß gestreiften Hemd, und so verkleidet um US-journalistenhafte Lockerheit bemüht, verdruckst und schwammig die komplizierten Informationswege mehr andeutete als wirklich darlegte, auf denen ihn die Empfehlung erreicht habe, dass das neueste Schmidtwerk, das die Asspergsaga wieder weitererzählte und auf den neuesten Stand brachte, der berühmte letzte Tropfen auf den heißen Stein und in das Fass hinein zu viel sei und deshalb in der Form, in der es schon im sogenannten Stehsatz stand und für die kommende oder nächste Ausgabe zum Druck gebracht werden sollte, keinesfalls wie geplant erscheinen könne. Schmidt sagte nichts und schaute amüsiert auf seinen Chef. Noch so ein komplett Kaputtbezahlter, der ohne es zu wissen in riesengroßen Buchstaben das Wort ANGST auf der Stirn über seinem permanent zur Fratze der Gutgelauntheit und Lässigkeit verzogenen Gesicht eintätowiert hatte, von keiner Lasertherapie entfernbar, denn das Tattoo erneuerte sich allnächtlich im Schlaf.Angst erklärt Schmidt, dass ein direkter Unter von Spiegelchef Czisch auf Umwegen, nicht von Czisch selbst, erfahren habe, dass Czisch von der Anzeigenabteilung informiert worden sei, die Assperg AG lasse das derzeitige Auftragsvolumen für Werbung aller Asspergfirmen im Spiegel zusammenstellen, eine Zahl, die der Assperg AG selbst natürlich bekannt sei, weshalb diese Assperganfrage an die Anzeigenabteilung des Spiegel nur als WARNUNG betrachtet werden könne, so jedenfalls die Interpretation dieses Unter von Czisch, der als eins von drei Mitgliedern der Chefredaktion, jeder mit jedem anderen im Wettlauf, die unausgesprochenen Wünsche von Spiegelchef Czisch, möglichst noch bevor Czisch selbst sie überhaupt geäußert oder auch nur gekannt hatte, schon erfüllt und in die organisatorische oder publizistische Tat umgesetzt zu haben, Motto: »bereits veranlasst, Herr Czisch!«, um in der Gunst des Chefs vielleicht ein kleines bisschen, und sei es nur für ein paar Tage, zu steigen, aufzusteigen usw, sich deshalb dafür einsetzte, nichts allzu Kritisches über Assperg im Spiegel erscheinen zu lassen, und diese Interpretation habe nun dieses Mitglied der Chefredaktion, dessen Namen Angst aus Gründen der Diskretion dem Schmidt nicht nennen könne, an ihn, den Angst, wiederum weitergereicht und zur weiteren Erwägung und Auslegung und Durchführung mit dem Satz übergeben: »Sie kennen doch die berühmte Geschichte von Göhrener.« Schmidt schaute interessiert, obwohl er die Geschichte schon tausendmal gehört hatte, um dem Angst, der seine Daumen inzwischen in seine roten Hosenträger eingehängt hatte, die offenbar von ihm erwünschte Gelegenheit zu geben, diesen Repressionsgassenhauer noch einmal zu erzählen.
In Goschs großer, seit Jahrzehnten vergeblich um Seriosität bemühter überregionaler Pseudotageszeitung Der Tag war im Feuilleton zum Jahresausklang eine Liste jungerKulturaufsteiger und vorallem Aufsteigerinnen erschienen, auch Göhreners neue Freundin und zukünftige Ehefrau, die junge freche Nora Schalli, war mit ihrem ersten und letzten Roman, in dem es auf sehr banale Art um
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