John Corey 01 - Goldkueste
sättigt, und die Vorstellung, mit einer weiteren Siebzigjährigen reden zu müssen, war fast mehr, als ich nüchtern ertragen konnte. Vor der Begegnung mit Mrs. Whitestone hätte ich den 95er Merlot aufmachen und trinken sollen.
Dann entdeckte ich den Geschenkladen in der fr üheren Sommerküche und sah mich darin um. Das Licht war ausgeschaltet, aber die Fenster ließen genug Tageslicht herein.
Das Angebot reichte von B üchern und Broschüren örtlicher Kleinverlage bis zu kunsthandwerklichen Gegenständen, Indianerschmuck, Stickereien, getrockneten Gewürzen, gepressten Blumen, Kräutertees, Duftessenzen, Wachskerzen, Wasserfarben, noch mehr bemalten Kacheln, Sämereien und so weiter. Was machen die Leute bloß mit all diesem Kram?
Ich griff nach einem verwitterten Stück Holz von der Außenwand einer alten Scheune, auf das jemand einen Dreimaster gemalt hatte. Während ich dieses Gemälde betrachtete, fühlte ich mich plötzlich beobachtet.
Ich drehte mich um und sah am Eingang des Geschenkladens eine sehr attraktive Frau Anfang Dreißig stehen, die mich eingehend musterte. »Ich suche Emma Whitestone«, erklärte ich.
»Sie müssen John Corey sein.«
»Der muss ich wohl sein. Wissen Sie, ob sie da ist?«
»Ich bin Emma Whitestone.«
Der Tag nahm eine entschiedene Wende zum Besseren. »Oh«, sagte ich. »Ich habe eine ältere Dame erwartet.«
»Und ich einen jüngeren Herrn.«
»Oh...«
»Margaret hat von einem jungen Mann gesprochen. Aber Sie sind eher ein Mann mittleren Alters, glaube ich.«
»Äh...«
Sie kam auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin die Vorsitzende der Peconic Historical Society«, stellte sie sich vor. »Was kann ich für Sie tun?«
.»Nun... das weiß ich nicht.«
»Ich auch nicht.«
Sie war fast so gro ß wie ich, mit schlanker, aber guter Figur, schulterlangem braunem Haar, leichtem Make-up, aber weder Nagellack noch Schmuck - auch kein Verlobungs- oder Ehering. Und sie hatte nicht allzu viel an. Sie trug ein kniekurzes beiges Sommerkleid aus Baumwolle mit Spaghettiträgern. Unter diesem knappen Fummel war nicht viel Platz für Unterwäsche. Sie trug jedenfalls keinen BH, aber ich sah die Umrisse ihres Slips. Und sie war barfuß.
Ich stellte mir vor, wie Ms. Whitestone sich heute Morgen angezogen hatte: Sie hatte Slip und Kleid übergestreift, war mit einem Kamm durch ihr Haar gefahren und hatte etwas Lippenstift aufgelegt. Das war's gewesen. Wahrscheinlich konnte sie diese Klamotten in vier Sekunden abstreifen. Mit meiner Hilfe noch schneller.
»Mr. Corey? Denken Sie darüber nach, wie ich Ihnen behilflich sein kann?«
»Ja, das tue ich. Augenblick noch.« Sie hatte eine sportliche Figur, die von Geschwindigkeit, vielleicht sogar von Ausdauer zeugte. Sie hatte schöne graugrüne Augen, und ihr Gesicht war nicht nur bildhübsch, sondern wirkte auf den ersten Blick unschuldig. Er erinnerte mich an Fotos von Blumenkindern der sechziger Jahre, aber das mochte daran liegen, dass sie Floristin war. Auf den zweiten Blick sprach aus ihren Zügen eine stille Sinnlichkeit. Wirklich, erwähnenswert wäre vielleicht noch ihre nahtlose Sonnenbräune, die ihrer Haut eine hübsche Milchkaffeefärbung gab. Insgesamt eine sehr attraktive und sinnliche Frau, diese Emma Whitestone.
»Ihr Besuch hat mit den Gordons zu tun?«
»Ja.« Ich legte das alte Stück Holz weg und fragte: »Haben Sie die beiden gekannt?«
»Ja. Wir sind freundschaftlich miteinander umgegangen, ohne befreundet zu sein.« Nach kurzer Pause fügte sie hinzu: »Eine schreckliche Geschichte.«
»Ja.«
»Gibt's irgendwelche... Hinweise?“
»Nein.«
»Ich habe im Radio gehört, dass sie einen Impfstoff gestohlen haben sollen.«
»So sieht's aus.«
Sie überlegte einen Augenblick, dann sagte sie: »Sie haben sie gekannt.«
»Ja, das stimmt. Woher wissen Sie das?«
»Ihr Name ist ein paarmal gefallen.«
»Wirklich? Hoffentlich auf nette Weise.«
»Auf sehr nette. Judy ist ein bisschen in Sie verknallt gewesen.«
»Tatsächlich?«
»Haben Sie das nicht gewusst?«
»Vielleicht.« Um das Thema zu wechseln, fragte ich rasch: »Gibt's hier eine Mitgliederliste?«
»Natürlich. Das Büro ist oben. Ich habe ein bisschen gearbeitet, bis Sie gekommen sind. Folgen Sie mir bitte.«
Ich folgte ihr. Sie duftete nach Lavendel. Auf dem Weg nach oben sagte ich: »Prachtvolles Haus.«
Sie drehte sich zu mir um. »Für Sie mache ich später eine Privatführung«, sagte sie.
»Klasse. Ich wollte, ich
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