John Grisham
beste Anwalt. Ein eindrucksvolles Team, und ich habe Quiet Haven noch nie so in Aufruhr erlebt. Derart sauber und gepflegt war das Heim auch noch nie. Selbst die Plastikblumen am Empfang sind durch echte ersetzt worden. Anweisung aus der Zentrale.
Dex und sein Team werden von einem Manager der unteren Konzernebene in Empfang genommen, der sich vor lauter Lächeln gar nicht mehr einkriegt. Offizieller Anlass für den Besuch ist, dass sich Dex in Quiet Haven umsehen will, das Heim inspizieren, Untersuchungen vornehmen, Fotos machen und Messungen durchführen muss, was er eine Stunde lang sehr gekonnt tut. Darauf hat er sich spezialisiert. Er muss »ein Gefühl für die Einrichtung bekommen«, die er verklagen will. Tatsächlich ist alles nur Show. Dex ist davon überzeugt, dass die Angelegenheit in aller Stille großzügig geregelt werden wird, ohne dass er überhaupt klagen muss.
Obwohl meine Schicht erst um einundzwanzig Uhr beginnt, treibe ich mich wie üblich im Heim herum. Mittlerweile haben sich Personal und Bewohner daran gewöhnt, mich zu allen möglichen Zeiten dort zu sehen. Es ist, als wäre ich immer da. Aber nicht mehr lange, so viel ist sicher.
Rozelle, die länger arbeitet als sonst, bereitet das Abendessen vor - »Kochen« kann man das ja nicht nennen, wie sie selbst sagt. Ich bleibe in der Küche, lasse ihr keine Ruhe, tratsche herum und helfe ihr ab und zu. Sie will wissen, was die Anwälte planen, und wie üblich kann ich nur spekulieren, warte dafür aber mit jeder Menge Theorien auf. Punkt achtzehn Uhr trudeln die Bewohner in der Cafeteria ein, und ich fange an, Tabletts mit der langweiligen Pampe hinauszutragen, die wir ihnen auftischen. Heute Abend gibt es gelbe Götterspeise.
Genau um 18.30 Uhr trete ich in Aktion. Ich verlasse die Cafeteria und gehe zu Zimmer 18, wo Mr. Spurlock auf seinem Bett sitzt und eine Abschrift seines Testaments liest. Mr. Hitchcock ist ein paar Türen weiter beim Abendessen, so dass wir uns in aller Ruhe unterhalten können.
»Haben Sie Fragen?«, erkundige ich mich. Das Dokument ist nur drei Seiten lang, teilweise verständlich formuliert, teilweise jedoch so verklausuliert, dass auch ein Juraprofessor keine Chance hätte. Dex hat eine besondere Begabung für solche Machwerke. Er ergänzt sie immer mit der richtigen Dosis Klartext, um den Unterzeichner davon zu überzeugen, dass er vielleicht nicht genau weiß, was er da unterschreibt, das Dokument aber in seinem Sinne abgefasst ist.
»Eige ntl ich schon«, meint Spurlock verunsichert.
»Ein Haufen juristischer Kram«, erkläre ich hilfsbereit. »Aber anders geht es nicht. Im Prinzip heißt es einfach, dass Sie alles dem Confederate Defense Fund als Treuhandvermögen hinterlassen und ich die Oberaufsicht bekomme. Entspricht das Ihrer Absicht?«
»Ja, und vielen Dank, Gill.«
»Es ist mir eine Ehre. Gehen wir.«
Wir lassen uns Zeit - Spurlock bewegt sich seit dem Schlaganfall deutlich langsamer - und schaffen es schließlich bis zum Eingangsbereich direkt an der Haupttür. Königin Wilma, Schwester Nancy und Trudy, die Empfangsdame, sind schon vor zwei Stunden verschwunden. Da es gerade Abendessen gibt, ist nichts los. Dex und seine Sekretärin warten auf uns. Die beiden Anwaltsassistenten und der Mann vom Konzern sind schon weg. Ich übernehme die Vorstellung. Spurlock setzt sich, und ich baue mich neben ihm auf, während Dex methodisch eine grobe Zusammenfassung des Dokuments durchgeht. Spurlock verliert fast sofort das Interesse, und das merkt Dex.
»Entspricht das Ihrer Absicht, Mr. Spurlock?«, fragt er, ganz verständnisvoller Berater.
»Ja«, erwidert Spurlock und nickt. Er hat den Rechtskram gründlich satt.
Dex zaubert einen Stift hervor, zeigt Spurlock, wo er unterschreiben soll, setzt dann seine eigene Unterschrift als Zeuge darunter und weist seine Sekretärin an, dasselbe zu tun. Die beiden bestätigen, dass Spurlock im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte ist. Dann unterzeichnet Dex eine beeidete Erklärung, und die Sekretärin zückt Notarssiegel und -s tempel, mit denen sie das Testament beurkundet. Ich habe das schon ein paarmal erlebt, und die Frau beurkundet einfach alles. Wenn man ihr eine Fotokopie der Magna Charta unter die Nase hält und schwört, dass es sich um ein Original handelt, beurkundet sie selbst die.
Zehn Minuten nachdem er sein Testament unterschrieben hat, sitzt Lyle Spurlock in der Cafeteria und nimmt sein Abendessen ein.
Eine Woche später ruft Dex an, um mir
Weitere Kostenlose Bücher