John Grisham
noch nicht einmal nach seinen Töchtern erkundigt hatte.
»Sie schämen sich. Ihr Vater kommt nachts besoffen nach Hause, stürzt in der Einfahrt, schlägt sich den Schädel auf und muss ins Krankenhaus, wo sich herausstellt, dass sein Blutalkoholgehalt doppelt so hoch ist wie erlaubt. Die ganze Stadt weiß davon.«
»Die ganze Stadt weiß nur davon, weil du es überall herumerzählst. Warum kannst du nicht die Klappe halten?«
Ihr Gesicht lief rot an, und ihre Augen glühten vor Hass. »Du kannst einem nur leidtun! Du bist ein mieser, klei ner Säufer, das weißt du hoffentl ich!«
»Da bin ich anderer Meinung.«
»Wie viel trinkst du eigentlich?«
»Nicht genug.«
»Du brauchst Hilfe, Mack. Professionelle Hilfe.«
»Und die bekomme ich von Dr. Juanita?«
Sie sprang auf und lief zur Tür. »Ich denke nicht daran, mich im Krankenhaus mit dir zu streiten.«
»Natürlich nicht. Du streitest lieber zu Hause, wo die Mädchen dabei sind.«
Sie riss die Tür auf. »Morgen siebzehn Uhr, und ich rate dir, da zu sein. «
» Ich überlege es mir.«
»Und komm heute bloß nicht nach Hause.« Sie knallte die Tür zu, und Mack hörte, wie sie mit wütend klappernden Absätzen entschwand.
Der erste Mandant in Macks Kettensägen-Sammelklagenprojekt war ein Mann namens Odell Grove gewesen, ein Holzfäller. Fast fünf Jahre zuvor hatte Mr. Groves neunzehnjähriger Sohn wegen einer schnellen Scheidung Macks Kanzlei aufgesucht. Im Rahmen der anwaltlichen Vertretung des Jungen, der ebenfalls Holzfäller war, erfuhr Mack von Odell Groves gefährlicher Begegnung mit einer Kettensäge. Bei Routinearbeiten war die Kette gerissen, und da der Schutz versagt hatte, hatte Odell Grove das linke Auge verloren. Er trug nun eine Augenklappe, und anhand dieser Klappe gelang es Mack, seinen längst vergessenen Mandanten in der Fernfahrerkneipe in der Nähe der kleinen Stadt Karraway zu identifizieren. Es war kurz na ch acht am Morgen nach seiner Ent lassung aus dem Krankenhaus. Die Nacht hatte er in der Kanzlei verbracht. Nachdem die Mädchen in die Schule gegangen waren, hatte er sich ins Haus geschlichen und ein paar Kleidungsstücke geholt. Um sich den Einheimischen anzupassen, trug er Stiefel und e inen Tarnanzug, den er gelegentl ich zur Hirschjagd benutzte. Die frische Stirnwunde hatte er mit einer tief ins Gesicht gezogenen grünen Wollmütze getarnt, aber die blauen Flecken ließen sich nicht vollständig verdecken. Er nahm Schmerzmittel, und ihm dröhnten die Ohren. Die Medikamente verliehen ihm den Mut zu dieser unangenehmen Begegnung. Ihm blieb auch keine Wahl.
Odell Grove mit der schwarzen Augenklappe saß drei Tische von ihm entfernt, aß Pfannkuchen, unterhielt sich lautstark und gönnte Mack keinen Blick. Laut Akte hatten sie sich vor vier Jahren und zehn Monaten in genau diesem Lokal getroffen, wobei Mack behauptet hatte, Grove habe einen bombensicheren Anspruch gegen die Hersteller der Kettensäge. Ihr letzter Kontakt lag zwei Jahre zurück. Damals hatte Grove in der Kanzlei angerufen und sich in ziemlich scharfem Ton nach seinem bombensicheren Anspruch erkundigt. Danach hatte die Akte nur noch vor sich hin gegammelt.
Mack trank an der Bar einen Kaffee, warf einen Blick in die Zeitung und wartete, dass die frühen Gäste zur Arbeit mussten. Schließlich hatten Grove und seine beiden Kollegen ihr Frühstück beendet und gingen zur Kasse. Mack legte einen Dollar für den Kaffee auf die Theke und folgte ihnen nach draußen.
Als sie zu ihrem Holztransporter gingen, schluckte Mack und rief seinen Mandanten beim Namen. Alle drei blieben stehen, und Mack ging zu einer freundlichen Begrüßung hinüber.
»Mr. Grove, ich bin's, Mack Stafford. Ich habe Ihren Sohn bei seiner Scheidung vertreten.«
»Der Anwalt?«, fragte Grove verwirrt. Er musterte die Stiefel, die Jagdkleidung, die ins Gesicht gezogene Skimütze.
»Genau, aus Clanton. Haben Sie einen Augenblick Zeit? «
» Was ...«
»Nur eine Minute. Es geht um etwas Geschäftliches.«
Grove sah die beiden anderen an, dann zuckten alle drei die Achseln. »Wir warten im Wagen«, sagte einer der beiden.
Wie die meisten Männer, die in den Wäldern Bäume fällen, hatte Odell Grove breite Schultern, einen gewaltigen Brustkorb, massige Unterarme und wettergegerbte Hände. Und das verbliebene Auge sprühte mehr vor Verachtung, als die meisten Menschen in zwei gesunde Augen hätten legen können.
»Was gibt's?«, knurrte er und spuckte aus. In seinem Mundwinkel hing ein
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