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John Grisham

John Grisham

Titel: John Grisham Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Gesettz
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Rauchringe in die Luft, antworteten aber nicht.
    »Er hat sich angepisst«, fügte er hinzu. Die anderen fanden das lustig.
    Sie gingen über den Rasen an der Eingangstür vorbei, dann um die Garage herum auf die Rückseite, wo ein billig gemachter Anbau aus ungestrichenen Sperrholzplatten wie ein Krebsgeschwür aus dem Haus ragte. Er war mit dem Haus verbunden, von der Straße her aber nicht zu sehen. Der trostlos wirkende Anbau hatte schief montierte Fenster, freiliegende Wasserrohre und eine wacklige Tür und sah aus, als wäre er in aller Eile errichtet worden.
    Cranwell legte Stanley die Hand in den malträtierten Nacken und stieß ihn zur Tür des Anbaus. »Da rein«, sagte er, während er mit der Pistole wieder die Richtung vorgab. Der einzige Zugang war eine kurze Rollstuhlrampe, die genauso klapprig aussah wie das ans Haus angebaute Zimmer. Jemand machte die Tür auf. Drinnen warteten Leute.
    Bei dem Prozess vor acht Jahren war Michael drei Jahre alt gewesen. Die Geschworenen hatten ihn nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen. Während des leidenschaftlichen Abschlussplädoyers seines Anwalts erlaubte der Richter, dass Michael in seinem Spezialstuhl hereingerollt wurde, damit ihn alle sehen konnten. Er trug einen Pyjama und ein großes Lätzchen, keine Socken oder Schuhe. Sein länglich geformter Kopf kippte zur Seite. Der Mund stand offen, die Augen waren geschlossen, und sein kleiner, missgestalteter Körper hätte sich am liebsten zusammengerollt. Der Junge hatte einen schweren Hirnschaden und war blind. Seine Lebenserwartung betrug nur wenige Jahre. Es war ein mitleiderregender Anblick, doch als es um das Urteil ging, hatten die Geschworenen kein Mitleid für ihn übrig.
    Stanley erduldete den Anblick, wie alle anderen im Gerichtssaal, doch als Michael weggerollt wurde, ging er sofort wieder zur Tagesordnung über. Er war fest davon überzeugt, das Kind nie wieder zu sehen.
    Er hatte sich geirrt. Jetzt hatte er eine etwas größere Ausgabe von Michael vor sich, die allerdings noch mitleiderregender wirkte als beim ersten Mal. Der Junge trug einen Pyjama und ein Lätzchen, keine Socken oder Schuhe. Sein Mund stand offen, die Augen waren immer noch geschlossen. Sein Gesicht war noch länger geworden und endete in einer hohen, leicht schiefen Stirn, die an einigen Stellen von verfilztem schwarzem Haar bedeckt wurde. Aus seinem rechten Nasenloch führte ein Schlauch irgendwohin. Die Arme waren an den Handgelenken verdreht und an den Körper gepresst, die Knie an die Brust gezogen. Sein aufgeblähter Bauch erinnerte Stanley an die Fotos, die er von verhungernden Kindern in Afrika gesehen hatte.
    Michael lag auf einem alten Krankenhausbett, das von irgendeiner Klinik ausrangiert worden war. Sein schmaler Körper war mit Kissen abgestützt und mit einem Klettband, das locker über seiner Brust verlief, am Bett festgezurrt. Am Fußende saß seine Mutter, eine hagere, schwer geprüfte Frau, an deren Namen sich Stanley nicht gleich erinnerte.
    Bei ihrer Aussage im Zeugenstand hatte er sie zum Weinen gebracht.
    Am anderen Ende des Betts war ein kleines Bad, dessen Tür offen stand, und neben der Tür befand sich ein schwarzer Aktenschrank aus Metall mit zwei Schubladen, dessen unzählige Kratzer und Dellen Beweis genug dafür waren, dass er schon ein Dutzend Flohmärkte gesehen hatte. Die Wand neben Michaels Bett hatte keine Fenster, doch in den beiden Wänden an der Seite waren je drei schmale Fenster eingebaut. Das Zimmer war höchstens viereinhalb Meter lang und etwa dreieinhalb Meter breit. Auf dem Boden lag billiges gelbes Linoleum.
    »Setzen Sie sich, Wade«, sagte Cranwell. Er stieß seinen Gefangenen auf einen Klappstuhl, der in der Mitte des kleinen Zimmers stand. Die Pistole war plötzlich weg. Die beiden Raucher von draußen kamen herein und machten die Tür hinter sich zu. Sie gesellten sich zu zwei anderen Männern in der Nähe von Mrs. Cranwell, nicht einmal einen Meter von Stanley entfernt. Fünf Männer, alle groß und furchteinflößend und bereit, Gewalt anzuwenden. Hinter Stanley war irgendwo auch Doyle. Mrs. Cranwell war da, Michael ebenfalls. Und Stanley Wade.
    Es konnte losgehen.
    Cranwell trat zum Bett und gab Michael einen Kuss auf die Stirn. Dann drehte er sich um und sagte: »Erkennen Sie ihn wieder?«
    Stanley konnte nur nicken.
    »Er ist jetzt elf Jahre alt«, sagte Cranwell, der seinem Sohn sanft über den Arm strich. »Immer noch blind, immer noch hirngeschädigt. Wir wissen nicht,

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