John Grisham
nachts. Ich weiß auch nicht, warum.« Sie klappte das Bett wieder hoch. »Ich füttere ihn viermal am Tag, jeweils dreißig Gramm. Er lässt mindestens fünfmal Wasser und hat mindestens zweimal Stuhlgang. Aber nicht regelmäßig. Es passiert immer zu einer anderen Zeit. Er ist jetzt elf Jahre alt, aber einen Rhythmus hat er dafür immer noch nicht gefunden. Zweimal am Tag bade ich ihn. Und ich lese ihm vor, ich erzähle ihm Geschichten. Ich komme nur selten aus diesem Zimmer heraus, Mr. Wade. Und wenn ich nicht da bin, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich da sein sollte. Das Wort >pflegebedürftig< trifft es nicht einmal annähernd.« Sie setzte s ich wieder in den alten Sessel am Fußende von Michaels Bett und starrte auf den Boden.
Cranwell sprach weiter. »Wie Sie sicher noch wissen, hat unser Sachverständiger beim Prozess ausgesagt, dass wir eine Vollzeitkrankenschwester brauchen. Sie dagegen haben den Geschworenen gesagt, das sei Blödsinn. >Kokolores< haben Sie, glaube ich, gesagt. Es sei nur ein weiterer Versuch von uns, an Geld zu kommen. Sie haben uns als geldgierige Arschlöcher hingestellt. Können Sie sich noch daran erinnern?«
Stanley nickte. Er wusste nicht mehr genau, wie er es damals formuliert hatte, doch es klang tatsächlich wie etwas, das er im Eifer des Gefechts sagen würde.
Drei Finger. »Lüge Nummer drei«, verkündete Cranwell seinen Geschworenen, vier Männern, die genauso stämmig gebaut waren wie er, die gleiche Haarfarbe und die gleichen harten Gesichter hatten wie er, die gleichen abgetragenen Latzhosen trugen wie er. Sie waren eindeutig miteinander verwandt.
Cranwell fuhr fort. »Letztes Jahr habe ich vierzigtausend verdient und für jeden einzelnen Dollar davon Steuern bezahlt. Die Steuervergünstigungen, die schlaue Leute wie Sie haben, bekomme ich nicht. Vor Michaels Geburt hat Becky als Hilfslehrerin in Karraway gearbeitet, aber das kann sie aus naheliegenden Gründen nicht mehr. Fragen Sie mich nicht, wie wir zurechtkommen, ich kann es Ihnen nämlich nicht sagen.« Er wies auf die vier Männer. »Wir bekommen viel Hilfe von Freunden und Kirchengemeinden aus der Gegend. Vom Staat Mississippi bekommen wir nichts. Das ergibt doch keinen Sinn, finden Sie nicht auch? Dr. Trane ist davongekommen, ohne auch nur einen Cent zahlen zu müssen. Auch seine Versicherung, diese Horde von Gaunern aus dem Norden, hat keinen Cent zahlen müssen. Die Reichen richten einen Schaden an und kommen ungeschoren davon. Können Sie mir das erklären, Wade?«
Stanley schüttelte nur den Kopf. Es würde nichts bringen, wenn er jetzt versuchte, mit Cranwell zu diskutieren. Er hörte zu, doch in Gedanken war er schon bei dem in allernächster Zukunft liegenden Moment, an dem er gezwungen sein würde, wieder um sein Leben zu betteln.
»Reden wir über eine andere Lüge«, sagte Cranwell. »Unser Sachverständiger sagte, wir könnten vielleicht eine Krankenschwester in Teilzeit für dreißigtausend im Jahr einstellen, was aber schon sehr günstig wäre. Dreißigtausend für die Krankenschwester, dreißigtausend für die anderen Ausgaben, alles in allem sechzigtausend pro Jahr, zwanzig Jahre lang. Die Rechnung war ganz einfach: 1,2 Millionen Dollar. Das hat unserem Anwalt Angst gemacht, weil in diesem County noch nie jemand eine Million Dollar von einem Geschworenengericht bekommen hatte. Damals, vor acht Jahren, waren zweihunderttausend Dollar das Maximum gewesen, und diese Summe wurde bei der Berufung auch noch drastisch zusammengestrichen, wie uns unser Anwalt erzählte. Arschlöcher wie Sie, Wade, und die Versicherungsgesellschaften, für die Sie sich prostituieren, und die Politiker, die sie sich mit ihrem Geld kaufen, sorgen dafür, dass geldgierige kleine Leute wie wir und die geldgierigen Anwälte, von denen wir uns vertreten lassen, in ihre Schranken gewiesen werden. Unser Anwalt hat uns gesagt, es sei gefährlich, eine Million Dollar zu verlangen, weil niemand in Ford County eine Million habe, warum also sollten wir so viel Geld bekommen? Vor dem Prozess haben wir stundenlang darüber geredet, und schließlich waren wir damit einverstanden, dass unser Anwalt weniger als eine Million verlangt. Neunhunderttausend Dollar. Wissen Sie das noch?«
Stanley nickte. Er wusste es tatsächlich noch.
Cranwell kam einen Schritt näher und zeigte auf Stanley. »Und Sie, Sie elender Scheißkerl, haben den Geschworenen gesagt, dass wir nicht den Mut hätten, eine Million Dollar zu verlangen, aber
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