John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
eingeschleust hatte, besaß keinen Zugang zu Ronsards Büro. John hatte ihm einen kleinen Digitalempfänger zu geschleust. Auf Knopfdruck löste dieser ein Signal aus, das die Audiodaten einsammelte, die der Mann wiederum auf dem üblichen Wege nach Langley weiterleiten würde. Selbst wenn man ihn mit dem Empfänger erwischte, könnte man nichts damit anfangen, weil die Daten digitalisiert waren. Auch sah das Gerät aus wie ein Taschenradio, ja, funktionierte sogar so.
Rasch verband sie das winzige Abhörgerät mit nur einer Leitung, da so der Stromkreis offen bliebe und die Wanze nicht mit einem Sweater entdeckt werden könnte. Dann schloss sie die Leitungen wieder an, wobei sie darauf achtete, dass diese weniger als sieben Zentimeter lang waren. Mit kurzen Leitungen wurden Stromschwankungen vermieden, ein zweiter verdächtiger Hinweis auf Wanzen. Danach schloss sie zwei Neun-Volt-Batterien als Stromquelle für den Empfänger/Transmitter an und schob alles wieder behutsam ins Gehäuse zurück.
»Bin fast fertig«, verkündete sie. Sie schätzte, dass sie etwa zwanzig Minuten gebraucht hatte. »Bist du schon drin?«
»Noch dabei«, murmelte John abwesend. »Er hat seine Dateien mit einem Passwort geschützt.«
»Hast du’s schon mit ›Laure‹ versucht?«
»Gleich als Erstes.«
»Und im Schreibtisch ist auch nichts?« Sie hatte gehört, wie er Schubladen auf- und wieder zumachte und angenommen, er suchte nach irgendwelchen Papieren.
»Nichts.« Er durchsuchte rasch alles, was auf dem Schreibtisch lag, fand jedoch nichts, das auch nur entfernt einem Passwort ähnelte.
Sie schraubte die Telefonbuchse wieder an und hob das Sofa auf seinen alten Platz zurück. »Und wenn er’s nicht aufgeschrieben hat?«
»Wenn er kein Dummkopf ist, wird er regelmäßig sein Passwort ändern. Und wenn er das macht, dann hat er das aktuelle hier irgendwo aufgeschrieben. Wenn du dort hinten fertig bist, such doch bitte nach einem Wand- oder Fußbodensafe.«
»Sag bloß nicht, du bist auch ein Safeknacker.«
»Na gut, dann sag ich’s eben nicht.«
Rasch schaute sie hinter jedes Gemälde, fand jedoch nur Tapeten. Auf dem Boden lag ein großer dicker Teppich, dessen Ecken sie nacheinander anhob, abermals vergebens. Anschließend nahm sie einen Schraubenzieher zur Hand und untersuchte sämtliche Steckergehäuse, denn manchmal verbargen sich hinter Attrappen kleine Verstecke. »Nichts«, berichtete sie. Sie sammelte ihr Werkzeug zusammen und wickelte es mit der Pistole wieder in ihre Stola.
John nahm ein Buch vom Schreibtisch und blätterte es durch. Dann hielt er es mit dem Buchrücken nach oben, um zu sehen, ob irgendwelche Zettel herausfielen. Schließlich hielt er inne und betrachtete nachdenklich das offenbar viel gelesene Buch. Niema ging zu ihm und legte ihr Paket auf dem Schreibtisch ab, wobei sie einen Blick auf den Buchtitel warf: A Tale of Two Cities.
John blätterte eine Seite auf, deren Ecke umgebogen war. »Es muss hier stehen. Niemand liest dieses Buch freiwillig mehr als einmal.«
»Na ja, es ist ein Klassiker«, bemerkte sie erheitert.
»Ich hab nicht gesagt, dass es nicht gut ist, nur dass es keins ist, das man wieder und wieder liest.« Er fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang auf der Suche nach einem Wort, das ihm ins Auge sprang. »Guillotine.«
Er wandte sich dem Keyboard zu und tippte das Wort ein. ZUGRIFF VERWEIGERT hieß es auf dem Monitor.
Er zuckte mit den Schultern und konsultierte erneut das Buch. »Dickens ist verflucht wortreich«, grummelte er. »Vielleicht sitzen wir Stunden hier.« Er versuchte es mit » Monarch« . ZUGRIFF VERWEIGERT.
»Monsters« wurde ebenfalls zurückgewiesen, dann versuchte er es mit »enchanter« .
Eine Datei mit Namen »tumbrils« öffnete sich.
»Na, was sagt man dazu«, verkündete John leise. »War bloß ein Schuss ins Dunkle.«
»Schwein gehabt.« Bloß dass es nicht wirklich Schwein war, sondern Können und Erfahrung. John war derart gut trainiert, dass er allen anderen mehrere Schritte voraus war. Für ihn war es ganz normal, die wahre Bedeutung eines alten, abgelesenen Klassikers, der offen auf Ronsards Schreibtisch lag, zu erkennen.
Er schob eine Diskette ins A-Laufwerk und begann Dateien aufzurufen und zu kopieren. Er nahm sich nicht die Zeit, irgendetwas zu lesen, sondern kopierte einfach alles so schnell wie möglich, wobei er auch noch den Überwachungsbildschirm im Auge behielt.
Niema kam um den Schreibtisch herum und stellte sich hinter ihn.
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