John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
geringste Risiko einzugehen.
»Ich hab mich nie bei dir bedankt«, murmelte sie. »Für das, was du getan hast.«
Er hob die Augenbrauen und warf ihr kurz einen verblüfften Blick zu. »Bei mir bedankt?«
Sie hatte den Eindruck, dass er nicht nur erstaunt, sondern beinahe fassungslos war. »Dafür, dass du mich aus dem Iran rausgeschafft hast«, erklärte sie und fragte sich gleichzeitig, wieso das nötig war. »Ich weiß, dass ich auf dem Rückweg eine ganz schöne Last für euch war.« Last? Sie war das reinste Nervenbündel gewesen. An jene Tage konnte sie sich nur noch verschwommen erinnern, zum Teil gar nicht. Sie wusste zum Beispiel nicht mehr, wie sie aus der Hütte gekommen war. Sie erinnerte sich an die langen Wanderungen durch das kalte, finstere Gebirge, doch waren ihr Kummer, ihre Verzweiflung derart groß gewesen, dass sie sich an irgendwelche physischen Strapazen überhaupt nicht mehr erinnern konnte.
»Ich hab’s Dallas versprochen.«
Simple Worte und von eiserner Entschlossenheit.
Es schmerzte sie, Dallas’ Namen laut ausgesprochen zu hören. In den letzten fünf Jahren war kein Tag vergangen, an dem sie nicht an ihren Mann gedacht hatte. Der schreckliche Kummer war vergangen, und an seine Stelle war ein Gefühl tiefer Einsamkeit getreten. Wenigstens erinnerte sie sich nun meist lediglich an die guten Tage mit ihm. Sie bedauerte, dass ihnen nicht mehr Zeit vergönnt gewesen war, keine Zeit, um all die Macken und Gewohnheiten des anderen kennen zu lernen. Sein Name brachte den alten Schmerz zurück, aber er war nun sanfter, erträglicher, und sie konnte das Bedauern in Medinas Stimme hören. Was die Zeit jedoch nicht geheilt hatte, waren ihre Schuldgefühle, das Wissen, dass Dallas nur ihretwegen diese Mission angetreten hatte.
Aber eventuell war sie ja nicht die Einzige, die unter Schuldgefühlen litt. Medina kam ihr wie ein Mann vor, der tat, was getan werden musste und dann nicht weiter darüber nachdachte. Offenbar jedoch irrte sie sich. Er hatte sich um sie gekümmert, so wie Dallas versprochen, obwohl es viel einfacher für ihn gewesen wäre, sie einfach in den eiskalten Bergen sitzen zu lassen. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum er es getan hatte. Sie war ihm auf jeden Fall zutiefst dankbar dafür. »Glaubst du etwa, ich würde dir die Schuld geben?«, fragte sie leise. »Nein, das habe ich nie.«
Abermals schien sie ihn überrascht zu haben. Sie sah, wie die Muskeln seines Unterkiefers hervortraten. »Vielleicht hättest du das tun sollen«, entgegnete er.
»Wieso? Was hättest du denn machen können?« Sie hatte jene Nacht tausendmal durchlebt, bis sie schließlich lernte, das Unveränderliche zu akzeptieren. »Wir hätten ihn nie lebend aus der Fabrik, geschweige denn aus dem Iran schaffen können. Du weißt das. Und er wusste es auch. Er hat sich dafür entschieden, die Mission zu vollenden und lieber rasch zu sterben als langsam und qualvoll.« Sie brachte ein schiefes Lächeln zu Stande. »Wie du mit deiner Zyankalikapsel.«
»Ich bin derjenige, der ihm gesagt hat, er soll auf den Knopf drücken.«
»Das hätte er so und so gemacht, egal was du gesagt hättest. Er war mein Mann, und ich wusste vor der Heirat, dass er ein verdammter Held ist.« Sie hatte gewusst, was für ein Mann Dallas war, hatte gewusst, dass er es für seine Pflicht halten würde, seine Aufgabe um jeden Preis zu vollenden, und dieser Preis war sein Leben gewesen.
Medina verfiel in Schweigen, konzentrierte sich aufs Fahren. Bei der nächsten Abzweigung wies sie ihm die Richtung; sie lebte in MacLean, das auf derselben Flussseite lag wie Langley. Also war der tägliche Weg zur Arbeit für sie nicht lang.
Schon einmal war sie neben ihm gesessen, während er durch die Nacht fuhr; auch damals hatte er geschwiegen. Das war, nachdem Hadi einen Ford Fairlane, Baujahr 1968, aus dem iranischen Dorf für sie »requiriert« hatte und sie gemeinsam nach Teheran gefahren waren. Dann hatte sich Hadi von ihnen getrennt, und sie und Medina waren allein weitergereist. Sie war damals fiebrig und krank gewesen, krank vor Kummer und kaum fähig, ihre Umgebung wahrzunehmen.
Medina hatte sich rührend um sie gekümmert. Als sich die Nagelwunde entzündete, hatte er wie aus dem Nichts eine Ampulle hervorgezaubert und ihr ein Antibiotikum gespritzt. Er sorgte dafür, dass sie aß und schlief und dass sie schadlos die Türkei erreichten. Er war da gewesen, in jenen ersten Stunden, als der Kummer mit Macht über sie
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