John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
tatsächlich glaubten, dass Männer wie Farouk ihre Geheimnisse bei Tee und Hefeküchlein preisgaben, waren sie noch naiver, als er angenommen hatte.
Das eigentliche Problem bestand darin, dass die von der TF 121 entwickelten Methoden zu weite Verbreitung gefunden hatten, dachte Saul. Zwangsmaßnahmen sollten nur eingesetzt werden, wenn sie notwendig waren – unter genauer Überwachung und nur auf Gefangene, von denen man vernünftigerweise gute Informationen erwartete. Er verstand nicht, warum 22jährige Corporals aus Westvirginia, die nie die Grundlagen der Verhörtechnik erlernt hatten, in Abu Graib, Guantanamo und im afghanischen Bagram Häftlinge zusammenschlugen. Aber bisher hatte ihn niemand aus dem Pentagon nach seiner Meinung gefragt.
Über das Argument, dass seine Methoden nicht angewendet werden sollten, weil sie nicht funktionierten, konnte Saul nur lachen. Selbstverständlich funktionierten sie. Nur weil sie zu gut wirkten, durften sie nicht bei Polizeiuntersuchungen angewendet werden. Nach einigen Wochen mit ihm würden die meisten Menschen alles gestehen, sogar Verbrechen, die sie nie begangen hatten, nur um die Qual hinter sich zu bringen. Allerdings waren derartige erzwungene Geständnisse nahezu wertlos, weil nicht einmal der Vernehmungsbeamte wusste, ob sie der Wahrheit entsprachen.
Saul versuchte nicht, Verbrechen aufzuklären. Er versuchte, sie zu verhindern. Ihn interessierten Informationen über Anschläge, die noch gar nicht stattgefunden hatten. Der Ort, an dem Bomben versteckt waren. Die Struktur von Terroristenzellen. Die echten Namen und Adressen von terroristischen
Agenten. Konkrete, nachprüfbare Informationen. Ihm war es egal, wie oft er angelogen wurde, solange er am Ende die Wahrheit erfuhr. Lügen verlängerten nur den Schmerz. Irgendwann verstand das jeder Häftling, und sobald dies geschah, bekam er, was er wollte.
Farouk ging aus seiner Zelle in einen größeren Raum mit einem Tisch in der Mitte.
Kaum hatte er ihn betreten, kamen zwei große Männer. »Setzen Sie sich«, sagte einer auf Englisch. Da Farouk keinen Grund sah vorzugeben, dass er ihn nicht verstand, nahm er Platz. Während sich einer der Männer hinter ihn stellte, kettete der andere seine Beine am Stuhl fest. Dann brachten sie einen Teller mit Brot, eine Schüssel mit Hummus und ein Glas Orangensaft.
Farouk rann das Wasser im Mund zusammen. Er konnte sich nicht erinnern, je so hungrig gewesen zu sein, nicht einmal als Junge, als seine Mutter mit drei Kilogramm Mehl eine ganze Woche durchkommen musste. Allerdings fragte er sich, ob das Essen auch sicher war. Als einer der Männer ein Stück Brot in den Hummus tauchte und aß, senkte Farouk seinen Kopf über den Tisch und schaufelte mit gefesselten Händen das Essen in den Mund. Die himmlische Speise füllte seinen Magen, und einen Augenblick lang fühlte er Dankbarkeit für seine Peiniger. Im nächsten Moment hatte er das Gefühl bereits überwunden. Du darfst den Kafirs nicht dankbar sein, sagte er sich. Das ist genau, was sie wollen.
Nachdem er fertig gegessen hatte, räumten die Männer das Geschirr ab und verließen den Raum, sodass Farouk allein zurückblieb. Plötzlich fühlte er sich seltsam müde. Er sehnte sich nur noch danach, den Kopf auf den Tisch zu legen
und zu schlafen. Und genau das tat er wenige Minuten später.
Knips! Das Licht schien grell, während Farouk versuchte, den Nebel aus seinem Kopf zu vertreiben. Ein neuer Mann sah von oben auf ihn herab. Jemand schüttelte ihn von hinten. Warum war er eingeschlafen? Wie lange hatte er geschlafen? Der Hummus musste mit etwas versetzt gewesen sein. Was bin ich doch für ein Narr!, dachte er, während er einen Speichelfaden abwischte, der ihm aus dem Mund lief.
»Aufwachen«, forderte ihn der Mann auf. Er war klein, hatte dunkles Haar und einen sorgfältig gestutzten Spitzbart. Während er einen dicken Aktenordner auf den Tisch legte, schüttelte sich Farouk verzweifelt. Er musste einen klaren Kopf bekommen.
Der Mann hatte sich gegenüber von Farouk an den Tisch gesetzt und ein Päckchen Marlboros aus der Jacke gefischt. »Zigarette?«
»Nein«, lehnte Farouk ab, obwohl er sich sehr danach sehnte.
Der Mann zuckte nur die Achseln. »Wie Sie wollen. Wie heißen Sie?«
»Hussein. Und wie heißen Sie?«
»Mein Name ist unwichtig. Außerdem glaube ich, dass Sie mich belügen. Wie heißen Sie?«
»Hussein. Hussein Ali«, sagte Farouk. »Ich bin ein Bauer aus Basra. Das alles ist ein
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