John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
begonnen hatte, Spanisch zu studieren, hatte es sich Shafer angewöhnt, in seinen Gesprächen willkürlich spanische Sätze fallen zu lassen. Jedes verstümmelte Wort schmerzte Exley, weil es sie daran erinnerte, wie fern sie ihren eigenen Kindern war. Außerdem hatte sie große Mühen auf sich genommen, um drei Sprachen zu erlernen, sodass sie linguistische Albernheiten im Stil von Taco Bell zutiefst ärgerten.
»Ich überlege, ob ich mein Apartment verkaufen soll«, sagte sie, während sie den Bericht hochhielt. »Ob sich eine schmutzige Bombe negativ auf die Immobilienpreise auswirkt. «
»Vermutlich nicht«, antwortete Shafer. »Der 11. September war das Beste, was dem Immobilienmarkt von Washington je passiert ist.«
»Sie wissen, dass Sie so etwas nicht sagen sollten.«
»Aber wenn es die Wahrheit ist.«
Es stimmte. Nach den Anschlägen hatten die CIA und das Verteidigungsministerium Zehntausende neue Stellen besetzt, wodurch die Häuserpreise in der Gegend um Washington D.C. in die Höhe geschossen waren. Das war eine weitere unbeabsichtigte Folge des 11. September. Bin Laden hatte gewiss nicht erwartet, dass er mit dem Anschlag auf das Pentagon die Bürokraten in der Regierung reich machen würde.
»Versuchen Sie beim einhundertsten Durchgang etwas zu entdecken, das Ihnen bei den letzten neunundneunzig entgangen ist?«, erkundigte sich Shafer. »Irgendeine geniale Erkenntnis ?«
»Die genialen Erkenntnisse überlasse ich Ihnen, Ellis. Obwohl …« Sie brach ab, weil sie nicht sicher war, ob dies der richtige Augenblick war, um über Wells zu reden.
Geduld zählte jedoch nicht zu Shafers herausragendsten Eigenschaften. »Was? Was ist los?«
»Sie müssen mir etwas erklären. Wir haben die Zoll- und Einreisebedingungen verschärft. Wir haben Gammastrahlungsdetektoren in den Flughäfen installiert. Wir haben für dieses Zeug wie viel, zehntausend Dollar letztes Jahr ausgegeben? Warum kann man dann immer noch einfach zu Fuß aus Mexiko herüberspazieren?«
»Ist das eine rhetorische Frage? Denn Sie wissen die Antwort genauso gut wie ich«, antwortete er. »Wir wollen diese Grenze offen halten, damit die Mexikaner hereinkommen und jene Jobs übernehmen können, für die wir selbst zu faul sind.« Abwartend legte er den Kopf zur Seite. »Aber das war nicht das, was Sie mich ursprünglich fragen wollten. Habe ich recht?«
»Sie lassen mich nicht so einfach davonkommen, oder?« Shafer kannte sie gut, das musste sie ihm zugestehen.
»Heraus damit.«
»Sie glauben, dass ich besessen bin.«
»Sie sind besessen. Deshalb mag ich Sie.«
»Ich glaube, dass die Informationen von Farouk beweisen, dass Wells uns die Wahrheit gesagt hat.«
Als sie Wells’ Namen erwähnte, kräuselte Shafer die Nase, als wäre er in eine zerbrochene Abwasserleitung gestiegen. »John Wells?«, fragte er. »Mr Invisible? Der größte Fehler meiner Karriere?«
»Er war der Erste, der uns von Khadri erzählt hat. Farouk hat seine Aussage bestätigt. Außerdem hat Farouk bestätigt, dass er Wells letzten Frühling in Peschawar getroffen hat.«
Shafer schüttelte den Kopf. »Großartig. Und wo hat er sich herumgetrieben, seit er vor fünf Monaten abgehauen ist?«
»Er ist nicht abgehauen. Er ist geflüchtet.« Weil Sie ihm die Flucht ermöglicht haben, hätte sie am liebsten gesagt. Aber sie tat es nicht.
»Geflüchtet, abgehauen, wie auch immer. Er ist fort. Ich fürchte, der große Vincent Duto hat recht, was Mr Invisible betrifft. Allerdings glaube ich, dass die Al-Quaida John Wells genauso wenig traut wie wir.«
»Denken Sie je an ihn?« Sie konnte die Frage nicht unterdrücken. »Wie es für ihn sein muss. Sie vertrauen ihm nicht. Wir gewiss auch nicht.«
»Als er unterschrieb, wusste er, worauf er sich einlässt.«
»Aber er hat sicher nicht erwartet, dass er so lange undercover bleiben muss. Niemand würde das aushalten. Er muss der einsamste Mann auf Erden sein.« Sie erinnerte sich, was Wells gesagt hatte, als er sie in jener Nacht angerufen hatte: Ich weiß nicht, wie lange ich noch so weitermachen kann.
Der angewiderte Ausdruck auf Shafers Gesicht brachte sie in die Wirklichkeit zurück. »Nichts interessiert mich weniger
als Wells’ Einsamkeit, Jennifer. Ich wünsche mir von ihm lediglich nachverfolgbare Informationen. Das sind Informationen, auf deren Grundlage wir handeln können.«
»Was ist, wenn er lediglich ausharrt? Wenn er den richtigen Zeitpunkt abwartet?«
Shafer zog die Lippe zwischen die Zähne und
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