John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
auch die Kampfjets aufsteigen lassen, und deshalb habe ich Sie angerufen.«
»Die F-16 werden den Menschen an Bord aber wenig nützen, wenn es sich um eine Bombe handelt«, gab sie mit leicht angespannter Stimme zurück.
In Wahrheit würden die Kampfjets den Passagieren auch im Fall einer Entführung nichts nützen, dachte sie. Die Jets waren nur dazu da, das Weiße Haus davor zu bewahren, in Flammen aufzugehen, aber nicht, um das Flugzeug zu retten. Wenn nötig, würden sie es einfach abschießen. Für die Menschen auf dem United Airlines-Flug 919 bedeuteten die Kampfjet also nichts Gutes.
»Wenn sie das Flugzeug in die Luft jagen hätten wollen, hätten sie es schon über dem Atlantik getan, wo wir nicht die geringsten Reste gefunden hätten. Wenn es wirklich eine linke Sache ist, dann eine Entführung.«
»Dann müssten aber mindestens fünf Entführer an Bord sein, Ellis. Und alle in der ersten Klasse, nicht über das gesamte Flugzeug verteilt. Wenn überhaupt, dann ist es ein Bombenanschlag. Vielleicht wollen sie die Bombe im Landeanflug zünden. Sie wissen schon, als Abwechslung …«
»Die CIA will den kommerziellen Flugverkehr nicht ohne guten Grund stören.«
»Ist das etwa kein guter Grund?«
»Muss ich es für Sie buchstabieren, Jen?«, fragte Shafer seufzend. »Wenn das Flugzeug in Dulles landet, wird CNN genau dreißig Sekunden lang darüber berichten: Kampfjets eskortieren Verkehrsflugzeug. So etwas passiert. Eine Notlandung ist eine wesentlich größere Sache. Vor allem in New York. Wie die Fluglinien dem Weißen Haus berichtet haben, sind ihre Buchungen nach jeder erzwungenen Notlandung zurückgegangen. Deshalb ersuchen sie uns, nicht überzureagieren.
Das heißt nicht, dass ich damit einverstanden bin. Aber so ist es.«
»Und um wie viel werden ihre Buchungen zurückgehen, wenn dieses Flugzeug explodiert?«
»Das ist nicht meine Entscheidung.«
»Wenn Sie wollen, können Sie eine Landung befehlen.«
»Dieses Mal schon.«
Dieses Mal. Shafer besaß tatsächlich Einfluss, wenn auch nicht unbeschränkt. Auch wenn seine Vorhersage über die Ereignisse des 11. September ihn nach wie vor schützte, war er nicht mehr unverwundbar. Nach Abschluss des Kommissionsberichts zum 11.9. waren viele hochrangige Beamten der Agency aus dem Dienst ausgeschieden. Deren Nachfolger betrachteten Shafer nur noch als Relikt. Vielen von ihnen wäre es ein wahres Vergnügen, ihn scheitern zu sehen. Er war kein Teamspieler, einfach zu klug, und er konnte sie wie Dummköpfe aussehen lassen.
Deshalb musste Shafer absolut sicher sein, dass er nicht falschen Alarm auslöste. Schon wieder dieser Ellis Shafer. Nach all seinen haltlosen Warnungen leidet er jetzt endgültig an Verfolgungswahn. Er wollte einfach immer ein Held sein. Irgendwann ging es nicht mehr. Wir mussten ihn ignorieren. Exley kannte all diese Argumente, aber das half ihr nicht weiter. Wenn die 747 abstürzte, würden sie Blut an ihren Händen haben.
»Großartig. Und warum haben Sie mir dann meinen Samstag ruiniert? Nur damit ich Ihnen Gesellschaft leiste, während wir Daumen drücken?«
»Genau.«
»Tut mir leid«, sagte sie.
»Ich bin immer viel zu schnell mit meinen Schlussfolgerungen, deshalb sollen Sie mich zurückhalten. Bisher wissen wir nur, dass die Flugnummer aufgetaucht ist und dass ein paar
Namen mit der Liste übereinstimmen. Aber das passiert oft genug.«
Wie üblich hatte Shafer das Problem auf den Punkt gebracht, dachte Exley. Dies war nun schon der dritte ernst zu nehmende Alarm seit Januar. Die Agency wurde allmählich nachlässig. Diesmal lassen wir das Flugzeug nach Dulles weiterfliegen, statt es unmittelbar zur Landung zu zwingen. Irgendwann werden wir den Piloten einfach nur noch per Funk informieren, nach dem Motto: »Hallo, Sie haben vielleicht ein paar Entführer an Bord, aber wir sind nicht sicher. Also noch einen schönen Tag!«, und es dabei bewenden lassen.
»Diesmal ist es anders. Immerhin ist die Flugnummer erst aufgetaucht, nachdem das Flugzeug schon in der Luft war«, erklärte Exley kopfschüttelnd. »Wie ich das hasse.«
»Was meinen Sie?«
»Wir müssen immer recht haben. Sie nur ein einziges Mal.«
»Das Leben ist nun einmal nicht gerecht«, gab Shafer zurück. »Wir sollten in mein Büro gehen und nachsehen, was der neueste Stand ist.«
Seit der Ankündigung des Kapitäns vor etwa einer Stunde war es auf dem United-Airlines-Flug 919 gespenstisch still geblieben. Sodass das Summen der Lüftung noch das
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