John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
die im Flüsterton ausgetauscht wurden, künstliche Emotionen und Probleme im Miniaturformat.
Während er fernsah, fragte sich der Maulwurf, was er tun würde, wenn ihn George warnte, dass ihm die Agency auf
den Fersen sei. Die traurige Wahrheit war, dass er China nicht einmal besonders mochte. Gewiss wollte er nicht den Rest seines Lebens dort verbringen. Und was war mit Janice? Würde George zulassen, dass sie mitkam? Würde sie es überhaupt wollen? Er könnte ihr erzählen, dass dies das große fremde Abenteuer war, das sie sich immer gewünscht hatte.
Vielleicht sollte er einfach verschwinden, nach Mexiko oder sonst wohin in den Süden, mit oder ohne Janice. Er hatte genug Geld versteckt, um davon leben zu können, vor allem, wenn er in Thailand landete, wo man für zwanzig Dollar einen Blowjob bekam, statt eines dreiminütigen Tanzes. Aber er sprach nicht Thai. Wohin er auch immer ging, würde er den Rest seines Lebens auf das Klopfen an der Tür warten, das bedeutete, dass ihn die Agency – oder die Chinesen – gefunden hatten. Vor welcher der beiden Parteien er sich mehr fürchtete, wusste er nicht.
Bis auf den Lügendetektortest hatte er keinen Grund zur Sorge. Er sollte sich entspannen. Immerhin hatte er Wen Shubai nicht einmal kennengelernt. Der Maulwurf griff in seine Unterhose und massierte sich, während er die geschmeidigen kalifornischen Göttinnen auf MTV betrachtete. Obwohl er wusste, dass ihn der Whiskey und der Wein von dem abhalten würden, was thailändische Barmädchen als vollständige Entspannung bezeichneten, fühlte er sich zum ersten Mal seit einem Monat halbwegs wohl. Schon bald würde er wissen, wo er stand. Und irgendwann fühlte er, wie ihm die Augen zufielen.
23
»Bist du okay?«, fragte Wells von der anderen Seite des Escalade.
»Es ging mir nie besser. Tu, was du tun musst.«
»Fahr den Van in die Auffahrt, sodass ihn niemand sehen kann. Wisch ihn dann ab. Alles, was du berührt hast. Auch die Weinflasche. Keine DNS.«
»Ich habe verstanden. Geh jetzt.«
Nun kam der nächste Schritt. Wells sah auf seine Uhr: 3:07. Ihm blieben dreiundzwanzig Minuten, und er würde jede einzelne davon benötigen. Er legte Fred, den Wächter, in der Auffahrt ab und stieg in den Escalade. Der deutsche Schäferhund lag tot auf der Rückbank. Zwei Kugeln aus Wells Glock hatten seinen Schädel durchschlagen. Sein Blut bildete auf den Fußmatten eine Pfütze. Wells wollte den Hund nicht töten, aber er hatte keine andere Wahl.
Wells setzte sich auf den Fahrersitz, schaltete den Escalade in den Rückwärtsgang und stieg vorsichtig auf das Gaspedal. Der große Geländewagen riss sich mit metallischem Stöhnen von dem Sienna los. Ein Stück der Motorhaube des Toyotas hing wie verbeulter Weihnachtsschmuck am Lüftungsgrill des Cadillacs. Wells wendete und fuhr den kurvigen Schotterweg zum Haus hinauf. Jetzt würden die getönten Scheiben des Escalade ein Vorteil für ihn sein.
Das Anwesen war eine riesenhafte Version eines rustikalen
Strandhäuschens von Cape Cod, besaß sogar verwitterte Schindeln und stand ungefähr siebzig Meter vom Tor entfernt. Als sich Wells dem Haus näherte, rannte ein Mann dem Escalade entgegen.
»Jimmy … was zum Teufel …«
Wells riss den Escalade herum, sodass er nun auf den Mann zufuhr und beschleunigte. Vor Schreck blieb dem Mann der Mund offen stehen. Erst griff er in den Bund, um seine Pistole zu ziehen, doch dann gab er auf und sprang ungelenk aus dem Weg. Er landete mit dem Gesicht voran im kurz geschnittenen Rasen. Wells hatte den Escalade schlitternd neben ihm angehalten und sprang nun mit der Pistole in der Hand heraus.
»Runter«, sagte Wells nicht allzu laut. »Hände auf den Rücken.«
Der Wächter zögerte. Wells feuerte die schallgedämpfte Glock ab, sodass sich die Kugel kaum einen Meter links vom Kopf des Mannes in die Erde grub. Augenblicklich verschränkte der Mann die Hände hinter dem Rücken. Nachdem Wells dem Mann Handschellen angelegt hatte, zog er ihn hoch und stellte sich hinter ihn, damit der Wächter sein Gesicht nicht sah. »Wie heißt du?«
»Ty.«
»Wer ist sonst noch wach?«
»Niemand.«
Wells stieß ihm die Glock in den Rücken. »Du hast bereits einen Warnschuss bekommen. Wo ist Hank?«
Ty zögerte, ehe er sprach. »Im ersten Stock. Er beobachtet die Schlafzimmer.«
»Sonst noch jemand?«
»Die schlafen alle, ich schwöre es. Oder sie sind mit Anna ausgegangen. Sie braucht fünf Kerle, die sie beschützen.«
An Tys Taille
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