John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
der Einsatzleiter.
»Eine neue Methode zur Gewichtsreduktion. Mein Arzt hat sie mir empfohlen. Mit zugeklebtem Mund kann ich nicht essen.«
»Wie es klingt, brauchen Sie einen neuen Arzt.«
»Ich habe bereits zweieinhalb Kilo verloren«, gab Kowalski zurück, wobei er als Zeichen seiner Würde den Bauch einzog. »Jetzt würde ich es zu schätzen wissen, wenn Sie mein Anwesen verließen, damit ich wieder zu Bett gehen kann.«
Die bewusstlosen Wächter wurden in das Krankenhaus nach Southhampton gebracht. Erst am Morgen begannen sie, sich wieder zu regen. Alle vier behaupteten, keinerlei Erinnerung an die Geschehnisse zu haben. Sie weigerten sich, Fragen zu beantworten, und forderten, mit Kowalskis
Anwälten zu sprechen. Da sie offensichtlich Opfer und nicht Täter waren, hatten die Cops keine andere Wahl, als sie laufen zu lassen. Sie wurden aufgefordert, später für eine Befragung auf die Polizeiwache zu kommen.
Aber sie tauchten nie auf. Und als die Polizei in die Two Mile Hollow Road fuhr, um nach ihnen zu suchen, entdeckten die Beamten, dass das Anwesen verlassen war. Aus den Flugaufzeichnungen ging hervor, dass Kowalskis Gulfstream V weniger als acht Stunden nach Wells’ Höflichkeitsanruf vom Flughafen von East Hampton abgehoben hatte. Dem Flugplan zufolge, den sie vor dem Start unterzeichnet hatten, steuerte der Jet Miami an – was vermutlich bedeutete, dass er in der Dominikanischen Republik, auf Barbados oder in Venezuela gelandet war. Auf jeden Fall waren Kowalski und seine Männer verschwunden.
»Ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren, dass er sich davongemacht hat. Meine Leute sagten, dass er ein cooler Kunde war«, erzählte der Chief. »Er hat sich kaum beschwert, als sie das Klebeband abzogen.«
»Er ist aalglatt.«
»Es sei eine Methode, um abzunehmen. Für diese Idee hat er Anerkennung verdient.« Graften kicherte. »Haben Sie bekommen, was Sie wollten?«
»Danke für Ihre Hilfe, Chief. Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie noch etwas von ihm hören.«
»Wird gemacht.« Klick.
Wells hoffte, dass seine Kowalski-Untersuchung nur vorübergehend zum Stillstand gekommen war, auch wenn er sich eingestehen musste, dass er nicht wusste, wo er weitersuchen sollte. Die Spur schien in einer Sackgasse zu enden. Deshalb beteiligte er sich auch wieder an der Suche nach
dem Maulwurf. Während Wells die Personalakte durchlas, die Exley und Shafer zusammengestellt hatten, zweifelte er, ob Exley mit ihrem Bauchgefühl in Bezug auf Keith Robinson recht hatte. Allerdings hatte er weder das Haus noch die Ehefrau des Mannes gesehen.
Ein Klopfen an der Tür ließ ihn hochfahren. Exley. »Hast du Lust auf einen Ausflug?«
Als sie zu Robinsons Haus kamen, war Exley froh, dass sie Wells gebeten hatte mitzukommen. Im Haus brannte kein Licht, aber durch die Fenster sah sie den flimmernden Fernsehapparat.
»Bist du sicher, dass sie zu Hause ist?«, fragte Wells. Er stand neben der Tür verborgen und presste sich gegen die Hauswand.
»Sie ist zu Hause.« Exley klopfte nochmals. Schließlich hörte sie Schritte. Janice riss mit glasigen Augen die Tür auf. In ihrer Hand schwankte ein Steakmesser.
»Sie«, fauchte sie, während sie mit dem Messer in Exleys Richtung stach. Wie es aussah, würde ihr das Messer eher aus der Hand fallen, als dass sie damit ernstlich Schaden anrichten könnte, dachte Exley. Als Janice einen kleinen Schritt nach vorn machte, griff Wells mit seinem kräftigen rechten Arm zu und verdrehte ihr Handgelenk, bis das Messer klirrend zu Boden fiel. Während Wells das Messer zur Seite stieß, öffnete und schloss sich ihr Mund in wortloser, betrunkener Verwirrung.
Exley wusste, dass Wells nur sicherstellen wollte, dass sie nicht verletzt würden. Aber irgendwie ärgerte sie die beinahe roboterhafte Leichtigkeit, mit der er diese mitleiderregende Frau entwaffnete. Er hatte nicht einmal geblinzelt, geschweige denn, dass ihm der Schweiß ausgebrochen wäre. In
diesem Augenblick erkannte sie etwas an ihm, das sie längst wissen sollte. Trotz all der emotionalen Last, die Wells trug, machte ihm der Gedanke an den Tod kaum Angst. Offenbar hielt er sich auf einer unbewussten Ebene für unsterblich, dachte sie. Er konnte es sich vermutlich nicht vorstellen, einen Kampf zu verlieren, oder dass irgendjemand stärker oder schneller war als er. Exley hatte mit eigenen Augen gesehen, wozu er im Nahkampf fähig war. Wie es wohl war, so viel körperliches Selbstbewusstsein zu haben? Sie
Weitere Kostenlose Bücher