John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
Zerstörer überfahren zu werden. Die Chinesen widersprachen dem heftig. Sie behaupteten, die Decatur habe den kleinen Fischkutter absichtlich getroffen, der nur achtzig Tonnen wog im Vergleich zu den achttausend Tonnen der Decatur. Jackie Wheeler, die eine neutralere Beobachterin war, als alle anderen, die die Kollision gesehen hatten, war nicht sicher, was passiert war. Beide Schiffe schienen zu erwarten, dass das andere abdrehte.
Da keines der beiden dies tat, schnitt der Zerstörer das kleine Fischerboot nahezu mittendurch und durchtrennte säuberlich ein Banner mit der Aufschrift: »China wird sich nicht vor den USA beugen!« Neben seiner üblichen Crew von zehn Mann hatte das Boot weitere vierundzwanzig Passagiere an Bord, vor allem College-Studenten, die gekommen
waren, um zu protestieren – und um als Souvenir einen Schnappschuss von dem Zerstörer zu machen. Fünf starben bei der Kollision. Aber weil die meisten Studenten nicht schwimmen konnten, ertranken weitere siebzehn nach dem Zusammenstoß.
Im Anschluss an die Kollision verringerte die Decatur die Geschwindigkeit. Aber noch ehe sie Rettungsboote zu Wasser lassen konnte, feuerte eine der chinesischen Fregatten Warnschüsse auf den Zerstörer ab. Nach Rücksprache mit Admiral Lee entschloss sich Williams weiterzufahren. Die chinesischen Boote strebten eilig auf den Fischkutter zu, und noch länger in der Nähe zu bleiben, hätte die Situation vielleicht zusätzlich angefacht. Später sollte die Entscheidung der Decatur, nicht anzuhalten, die Kontroverse verschärfen.
Abgesehen von einigen wenigen blauen Flecken und Abschürfungen wurde niemand an Bord der Decatur verletzt. In den darauffolgenden Tagen würde jedoch niemand behaupten, dass die USA die Kollision unbeschadet überstanden hatten.
27
Selbst mit Tysons Hilfe und der schriftlichen Bewilligung des Leiters der Rechtsabteilung der Agency benötigte Exley einen vollen Tag, um die interne Krankenversicherungsakte von Keith Robinson zu bekommen. Aus dieser ging hervor, dass Robinsons Frau Janice vor zehn Jahren einem Jungen namens Mark das Leben geschenkt hatte. Durch Vergleich der Geburtsdaten von Mark und der Sterbedaten der Sozialversicherung ergab sich, dass der Junge vor acht Jahren gestorben war. Laut Aussage von Wen Shubai hatte der Maulwurf ungefähr zu dieser Zeit erstmals mit den Chinesen Kontakt aufgenommen.
So beschlossen Exley und Shafer, dass der Zeitpunkt gekommen war, um mit Robinson zu sprechen. »Wir müssen ihn nicht nach dem toten Kind fragen«, meinte Shafer. »Das könnte ihn aus der Fassung bringen.«
»Wie taktvoll. Gott sei Dank sind Sie hier, um zu helfen. Selbstverständlich erwähnen wir seinen Sohn nicht. Der verpatzte Lügendetektortest ist Grund genug, um ihn zu befragen.«
Aber als Exley am späten Freitagnachmittag in Robinsons Büro anrief, hob er nicht ab. Sein Anrufbeantworter erklärte, dass er krank sei. Nach einigen weiteren Anrufen gelang es Exley, einen Mitarbeiter des Chinatisches aufzuspüren, der ihr erzählte, dass Robinson am Vortag noch vollkommen gesund
gewirkt habe. Im Büro nebenan versuchte Wells, in der Maulwurf-Untersuchung Anschluss zu finden, indem er die Abschriften von Shubais Verhör durchging. Vorerst schob er seine Bemühungen zur Seite, etwas über die Person herauszufinden, die Pierre Kowalski dafür bezahlte, dass er die Taliban unterstützte. Ohne Kontonummern konnte das Finanzministerium die Zahlungen nicht verfolgen, die Kowalski aus Macao erhalten hatte, wie er selbst zugegeben hatte. Und auch die CIA-Akte über Kowalski bot keine Hinweise auf den mysteriösen Nordkoreaner, den Kowalski erwähnt hatte. Hingegen enthielt sie genug Einzelheiten, um Wells’ Wut auf Kowalski anzufachen.
Kowalski hat Waffengeschäfte in der Höhe von einhundert und mehr Millionen Dollar für einige Dutzend souveräne Staaten und paramilitärische Organisationen vermittelt, wie etwa Angola, Armenien, China, den Kongo, die FARC (die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens), Indonesien, Libyen, Nigeria, Polen, Russland, Saudi-Arabien und den Jemen.
Diese Liste ist keineswegs endgültig. Kowalski wickelt seine Geschäfte oft durch Vermittler ab, wenn er hofft, an beide Seiten eines Konfliktes Waffen verkaufen zu können (z.B. im Tschad und Sudan). Seine Kommission beträgt zwischen zwei Prozent in Fällen, in denen er lediglich als Handelsagent auftritt und die Verhandlungen über Preis und Bündelung der Waffen aushandelt, und fünfundzwanzig
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