John Wells Bd. 2 - Netzwerk des Todes
ein grünes Quadrat das Zielobjekt.
»Wie genau sind diese Positionen?«
»Die Position der Xian haben wir auf Basis ihrer letzten bekannten Position vor fünfundvierzig Minuten errechnet. Die Position des Ziels kennen wir mit einer maximalen Abweichung von fünfzig Metern. Wir beobachten das Ziel in Echtzeit über Yao 2« – einen neuen Aufklärungssatelliten, den die Volksbefreiungsarmee nach dem Houston Rockets Center benannt hatte.
»Das heißt, wir kennen die Position des Feindes besser als die unseres eigenen Schiffes?«
»Das ist richtig, General.«
Das war das Paradoxe am U-Boot-Krieg. Die Xian konnte nur unregelmäßig mit ihren Kommandeuren kommunizieren,
um ihre Position nicht den Amerikanern zu verraten. Aber die chinesischen Satelliten konnten jedes feindliche Schiff mühelos verfolgen.
»Und wann wird sich die Xian wieder melden?«
»Um 1:00 Uhr, Sir.«
»Wie sicher sind Sie im Hinblick auf die Identifikation des Ziels?«
»Ich habe mir die Aufnahmen persönlich angesehen, General.«
»Und Sie sind sicher.« Li wollte es von dem Hauptmann hören.
»Ja, ich bin sicher, General.«
Li legte Cao die Hand auf den Ellbogen und führte ihn aus Hörweite des Hauptmanns. »Was halten Sie davon, Cao?«
Cao bewegte kaum die Lippen. Er sprach so leise, dass sich Li zu ihm hinunterbeugen musste, um ihn zu verstehen. »Ich glaube, wir sollten warten. Aber ich glaube auch, dass es vollkommen gleichgültig ist, was ich glaube, denn Sie haben sich schon entschieden.«
»Damit haben Sie recht.« Li wandte sich wieder dem Hauptmann zu. »Hauptmann, ich werde nicht hier sein, wenn sich die Xian das nächste Mal meldet. Aber hier ist die Botschaft, die Sie übersenden sollen.«
Der Füller sauste über den Skizzenblock und hinterließ auf ihm eine kleine verschwommene Stadt von Palästen und Kathedralen. Cao hatte Paris nie besucht, aber er hatte Fotos der Stadt gesehen. Das Zeichnen machte seinen Kopf klar und half ihm beim Denken. Er setzte noch ein paar Wasserspeier auf eine Kathedrale, die Notre-Dame hätte sein können, und betrachtete, was er geschaffen hatte. Nicht seine beste Arbeit.
Cao schob den Block beiseite, sah zum Himmel über Peking empor und trommelte mit dem Füller auf den Plastikstumpf an seinem linken Unterschenkel. Mitternacht war bereits vorüber, aber der Himmel war immer noch eher weiß als schwarz, denn die Lichter der endlosen Stadt spiegelten sich an den Wolken und dem Smog und verwandelten die Nacht in eine ewige Halbdämmerung.
Cao wohnte in einem Vierzimmerapartment in einem Armeekomplex in der Nähe von Zhongnanhai. Seine Wohnung war schlicht und im traditionellen chinesischen Stil dekoriert. Von den Wänden hingen lange Reispapierstreifen, die mit stilisierten Schriftzeichen in dicker schwarzer Tinte bemalt waren. Als hochrangiger Offizier hätte Cao auch ein wesentlich größeres Apartment haben können, wenn er gewollt hätte. Aber er zog diese Wohnung vor. Ohne Familie wäre er in einem größeren Apartment einsam gewesen. Außerdem verbrachte er die meiste Zeit ohnehin damit, Militärbasen zu besuchen oder mit Li zu reisen.
Normalerweise war das Apartment still und ruhig, geschützt durch die hohen Mauern des Gebäudekomplexes, eine Oase im Zentrum des Lärms und der Unruhe von Peking. Heute hörte Cao jedoch das Knattern der Hubschrauber über dem Tiananmen-Platz. Im Jahr 1989 war der Platz das letzte Mal so voll gewesen. Damals hatte sich Cao gefragt, ob die Parteiführung überleben würde. Aber er hatte ihre Fähigkeit unterschätzt, an der Macht festzuhalten. Diesmal füllten die Massen den Tiananmen-Platz, um die USA herauszufordern. Was werden sie jedoch tun, wenn sie herausfinden, dass sie nur als Druckmittel in einem Machtkampf benützt wurden?
»Die Wahl des Himmels zeigt sich im Verhalten der Menschen.« Dieses Zitat stammte von Mencius, einem Schüler
von Konfuzius aus dem vierten Jahrhundert vor Christus. Aber welche Wahl traf der Himmel jetzt? Cao verschränkte die Hände, schloss die Augen und bat Gott, ihm zu helfen, die Dinge zu begreifen. 1991 hatte Cao auf einer Reise nach Singapur zu einer regionalen Verteidigungskonferenz aus einem blockförmigen Gebäude Gesang gehört, das sich als Kirche herausstellte.
Er hatte nie zuvor das Innere einer Kirche betreten, aber die Freude in den Stimmen zog ihn an. Cao war augenblicklich gefangen. Bis zum heutigen Tag könnte er weder sich noch einem anderen den Grund dafür erklären. Bei seinem nächsten
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