John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
witzig.
»Aber das kannst du besser, Baschir, nicht wahr?«
»Natürlich.« Es gefiel Baschir überhaupt nicht, dass Nasiji mit ihm redete wie mit einem Kind, aber was sollte er tun? Es war Nasijis Projekt gewesen, und zwar lange, bevor Baschir ins Spiel kam. Mach dir nichts vor, dachte Baschir. In Wahrheit … Die Wahrheit war, dass es ihm bis auf die letzten paar Tage nichts ausgemacht hatte, Nasiji den Boss spielen zu lassen. So musste er nicht darüber nachdenken, was sie da taten.
Selbst nach dem Testdurchlauf, selbst als er den Ersatz-Tamper schmiedete, arbeitete Baschir immer weiter, ohne Nasiji gegenüber auch nur ein einziges Wort des Zweifels zu äußern. Während er in den folgenden beiden Tagen in der glühenden Hitze des Ofens schuftete, versuchte er, die Gründe für sein Schweigen zu analysieren: eine diffuse Mischung aus Angst, Verwirrung, Kameradschaftsgeist und Wut. Angst vor dem, was sie tun würden, wenn er
versuchte, sie aufzuhalten. Vor allem Angst vor dem, was sie seiner Frau antun würden. Er war mit offenen Augen in dieses Projekt gegangen und bereit, für die Folgen zu bezahlen, wenn er versuchte abzuspringen. Aber er wollte nicht, dass Thalia darunter litt.
Außerdem war er nicht davon überzeugt, dass er das Recht hatte, Nasijis und Jussufs Arbeit zu zerstören. Die Zeit des Zweifels war vorüber. Wie konnte er sein eigenes Urteil über das ihre stellen? Sie waren ein Team. Wenn die Amerikaner sie zusammen fanden, würden sie zusammen sterben.
Baschir konnte auch seinen Onkel nicht vergessen. Den dicken, freundlichen alten Mann im Besuchszimmer in Tora, der nur noch wenige Tage zu leben hatte. Baschir glaubte zwar nicht mehr, dass alle Amerikaner schlecht waren - dafür hatte er in der Notaufnahme zu viel Mitgefühl, zu viele Tränen gesehen -, aber sie waren rücksichtslos. Nasiji hatte guten Grund, sie zu hassen. Sie verursachten überall auf der Welt großes Elend, vor allem für die Muslime. Vielleicht war diese Bombe die Antwort.
Vielleicht musste er auch gar nichts unternehmen. Vielleicht würde die Bombe nicht funktionieren. Vielleicht würden sie gefasst werden, bevor sie fertig waren. Und so zögerte Baschir und schob die Entscheidung immer weiter hinaus. Dabei vergaß er, dass jedes Zögern schon an sich eine Entscheidung war.
Während Baschir mit Jussuf den neuen Tamper schmiedete, verfolgte Nasiji sein eigenes Projekt. Er installierte Blinklichter im Kühlergrill und am Heck des gebrauchten schwarzen Chevrolet Suburban, den Baschir einige Monate zuvor erstanden hatte. Es war ein Privatverkauf gewesen, Baschir hatte bar bezahlt und den Suburban nie
umgemeldet, so dass keine Verbindung zu ihm nachzuweisen war. Nasiji hatte ein paar alte Washingtoner Kennzeichen besorgt. Nichts wirkte auf andere Fahrer, ja sogar Polizeibeamte, so einschüchternd wie ein schwarzer Suburban mit Washingtoner Kennzeichen und verstecktem Blinklicht, wie sie das FBI verwendete. Mit den Lichtern würden sie zwar nicht bis auf das Gelände des Weißen Hauses kommen, aber vielleicht so nah, dass es keinen Unterschied machte.
Baschir verbrachte einen ganzen Tag damit, einen zweiten Tamper zu schmieden, einen, der groß genug war, um neben dem Kern auch einen Beryllium-Reflektor aufzunehmen. Nasiji bestand darauf, dass sie beide hatten, obwohl er nicht mehr davon überzeugt zu sein schien, dass sie das Beryllium bekommen würden. Sein Kontaktmann in Deutschland hatte die zweite Lieferung des Metalls immer noch nicht. Und selbst wenn sie kurzfristig eintraf, war es unmöglich, sie vor der Rede zur Lage der Nation in die Staaten zu schaffen.
»Zumindest gibt uns das Zeit, die Konstruktion zu verbessern«, sagte Baschir. Im Grunde war er froh über den Aufschub. Wenn sie keinen festen Termin hatten, konnte sich die Sache noch monatelang hinziehen.
»Ich will, dass wir bereit sind, unabhängig von dem Beryllium«, erklärte Nasiji. »Wenn wir zu lange warten, steht irgendwann das FBI vor der Tür.«
Und so verschwanden sie jeden Tag vor Sonnenaufgang im Stall und arbeiteten bis kurz vor Mitternacht. Ins Haus gingen sie nur zum Essen. Die Küche roch nach Hähnchen, Zitrone und Kichererbsen, Thalias Beitrag zu ihrer Sache. Zweimal hatte sie Baschir gefragt, ob sie die Bombe sehen könne, aber er hatte beide Male abgelehnt.
Jetzt schien sie bei den Mahlzeiten merkwürdig auf Nasiji fixiert. Sie füllte ihm sogar den Teller, bevor sie ihren Ehemann bediente. Baschir hielt sich vor Augen, dass sie
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