John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
rechte Hand über der Pistole an seiner Hüfte. Wells verlangsamte das Tempo.
»Ich muss mit dem Einsatzleiter reden, mit dem zuständigen …«
»Sie sind Amerikaner?«, fragte der Beamte. »Das ist ein Polizeieinsatz. Sehr gefährlich. Gehen Sie bitte.«
»Ich kenne den Mann im Hotel«, protestierte Wells verzweifelt. »Ohne mich wüssten Sie gar nicht, wo er ist.«
Der Beamte legte Wells seine Pranke auf die Schulter und bugsierte ihn vom Hotel weg.
»Hören Sie, mein Name ist John Wells …«
Oben krachte eine Granate, dann noch eine. Als Wells und der Beamte herumfuhren, flog am Westende des Hotels im zweiten Stock ein Fenster heraus, und das Glas regnete wie Konfetti auf den Gehsteig herunter. Zwei Prostituierte schrien und hielten sich die Hände vor die geschminkten Augen.
Dann knallte ein einzelner Schuss.
Der Beamte stieß Wells auf die Straße und warf sich auf ihn. Wells, unter hundertfünfzehn Kilo deutscher Polizei
begraben, hätte den Mann am liebsten auf den Rücken gerollt und verprügelt. »Lassen Sie mich aufstehen!«
»Wenn es sicher ist.«
»Jetzt ist es sicher«, erwiderte Wells, der den von Zigarettenkippen und zerknüllten Bierdosen übersäten Asphalt der Reeperbahn lange genug studiert hatte. »Außer der Mann da oben kann noch schießen, wenn er tot ist.«
Der Beamte rollte sich zur Seite, und Wells stand auf. Ein Notarztteam rannte mit Trage und Defibrillator ins Hotel. Zu spät, da war Wells sicher. Sie hatten das volle Programm aufgefahren und waren dann so langsam vorgerückt, dass Bernhard jede Menge Zeit gehabt hatte, sich wie ein Feigling davonzustehlen. Oder den Heldentod zu sterben. Je nachdem, wer die Geschichte erzählte. Auf jeden Fall konnte ihm Bernhard nicht mehr viel nutzen.
Nachdem er drei Minuten lang immer wieder Erklärungen abgegeben hatte, stand Wells vor dem Eingang zum Hotel und diskutierte mit dem BND-Agenten, der den Einsatz leitete, ob er nun ins Hotel durfte oder nicht.
»Sie wollen das Zimmer sehen? Aber der Mann drinnen ist tot. Er hat sich umgebracht.«
»Das bezweifle ich ja gar nicht, aber vielleicht hat er mir was hinterlassen.«
»Wir werden es finden.«
»Ich würde gern selbst nachsehen.« Ihr habt die Sache von Anfang bis Ende vermasselt, also lasst mich nicht noch länger betteln.
Wells sprach die Worte nicht aus, aber der Agent schien verstanden zu haben. »Wie Sie wollen. Jergen geht mit Ihnen mit.«
Im Hotel Stern stiegen vor allem junge Briten der Unterschicht ab, die sich für ein Wochenende in Chartermaschinen quetschten, um sich in Hamburg mit Pils volllaufen zu lassen und den Bordellen in der Herbertstraße einen Besuch abzustatten. Ein Riesenspaß. Der Teppichboden im zweiten Stock war ursprünglich einmal blau gewesen. Jetzt wirkte er eher schwarz und war mit Brandlöchern von Zigaretten bedeckt. Im Putz des Gangs gähnten faustgroße Löcher, weil sich die Gäste miteinander und vielleicht auch mit ein paar unglückseligen Prostituierten geprügelt hatten. Ein Dutzend BND-Agenten stand vor dem Zimmer und unterhielt sich im Flüsterton darüber, wie das hatte passieren können und was sie ihren Vorgesetzten und der internen Revision erzählen sollten, die jede Entscheidung hinterfragen würde, die sie getroffen oder nicht getroffen hatten. Als Wells vorbeiging, verstummten sie.
In Zimmer 217 lag Bernhard Kygeli. Die obere Hälfte seines Kopfes war aufgeplatzt wie ein zu lange gekochtes Ei. Er lag auf dem Rücken auf dem französischen Bett, die billige Decke war blutgetränkt. Das Notarztteam tat noch nicht einmal so, als wäre noch etwas zu retten. Bernhard war kein Risiko eingegangen, als der BND durch die Tür kam. Er hatte sich eine Pistole in den Mund gesteckt und war auf die Reise in die Ewigkeit gegangen. Sein Gehirn war auf die schmuddelige gelbe Wand hinter dem Bett gespritzt.
Wells war klar, dass er wenigstens einen Hauch von Mitgefühl für Bernhard hätte empfinden sollen oder zumindest Abscheu angesichts des hässlichen Todes, den er gestorben war. Aber er war nur sauer, wie ein Bezirksleiter, dessen bester Vertreter überraschend gekündigt
hat. Bernhard hätte noch ein wenig länger durchhalten sollen, anstatt sich auf diese Weise zu verdrücken und ihn kurz vor Quartalsende ohne Personal sitzen zu lassen. Kein Teamgeist!
Vom Hals abwärts war Bernhard unversehrt und wirkte in dem blauen Anzug mit dem blassrosa Hemd und der dunkelroten Krawatte merkwürdig adrett. Ein bitterkalter Wind fegte durch das
Weitere Kostenlose Bücher