John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
sind. Wir haben sogar die Daten der Einwanderungsbehörde nach Arabern mit Pässen eines nahöstlichen oder europäischen Landes durchsucht, die von Kanada in die USA geflogen sind. Wir sind auch fündig geworden: Seit dem 1. Januar waren es mehrere Hundert, die wir versuchen ausfindig zu machen. Aber es ist keiner dabei, der irgendwie auffällig wäre. Keine Übereinstimmung mit dem Grauen oder Schwarzen Buch. War natürlich nicht anders zu erwarten. Solche Leute wären aufgefallen und schon an der Grenze verhaftet worden. Unsere Zielpersonen haben also vermutlich amerikanische oder kanadische Pässe.«
»Überprüfen wir die auch?«
»Jeden Tag fliegen an die fünfzigtausend Menschen zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada hin und her. Bei einem Zeitfenster von vier Tagen sind das zweihunderttausend Personen. Selbst wenn wir uns an die eindeutig arabischen Namen halten und alle anderen ignorieren, bleiben noch etwa fünftausend, die wir überprüfen
müssen. Und wir sind drei Wochen zu spät dran, was bedeutet, dass die angegebenen Nachsendeadressen, wenn es welche gibt, in neunzig Prozent der Fälle nicht mehr aktuell sind. Eine unmögliche Aufgabe.«
Wells verdaute die schlechte Nachricht schweigend. Vier Kisten. Mit Uran, Bomben, wer wusste das schon? Und jetzt vermutlich auf amerikanischem Boden.
»Bist du noch dran, John? Es wird noch schlimmer. Die Besatzung der Juno sagt, Haxhi, der Kapitän, hat einen Anruf über sein Satellitentelefon getätigt, sobald die Decatur in Sicht kam, aber bevor das Team an Bord der Juno ging. Dann hat er das Gerät weggeworfen. Vermutlich hatten er und Bernhard eine Ampel installiert, einen indirekten Alarm.«
»Ich hab’s kapiert, Ellis.« Die Juno brauchte einen Weg, um Bernhard zu informieren, wenn sie in Schwierigkeiten geriet, ohne dass eine direkte Verbindung nachweisbar war. Die Lösung war eine eigens zu diesem Zweck installierte Mailbox, bei der Haxhi nur anrief, wenn er in ernsthaften Problemen steckte. Bernhard überprüfte diese Mailbox täglich, und solange es keine Nachrichten gab, wusste er, dass alles in Ordnung war - die Ampel zeigte grünes Licht. Falls Haxhi jedoch eine Durchsuchung der Juno fürchtete, hinterließ er eine Nachricht, ein gelbes Signal. Wenn er nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden einen zweiten Anruf tätigte und meldete, dass alles in Ordnung war, sprang das Signal auf Rot. In diesem Fall musste Bernhard annehmen, dass Haxhi gefasst worden war und er der Nächste auf der Liste war.
»Wann hat die Decatur die Juno aufgespürt?«
»Gestern Nachmittag.«
»Das kommt hin«, stellte Wells fest. »Bernhard hört die
Mailbox ab, findet die Nachricht, verbrennt seine Aufzeichnungen und taucht unter. Ich kann hier nichts mehr tun, Ellis. Bernhard denkt vermutlich, ich bin vom BND. Selbst wenn nicht, wird er sich nicht an mich wenden, wenn er Hilfe braucht. Die Deutschen sollen ihn sich schnappen - sofern sie wissen, wo er ist. Ich nehme die nächste Maschine nach Washington.«
»Einen Linienflug, oder soll dich die Air Force mitnehmen?«
»Was schneller geht. Vermutlich Linie.«
»Bist du sicher, dass du nicht lieber in Hamburg bleiben willst? Das liegt außerhalb des Explosionsradius.« Damit legte Shafer auf.
Wells suchte nach einem Flug. Continental hatte einen Abend-Direktflug von Hamburg nach Newark, der gegen zweiundzwanzig Uhr in Newark eintraf. Dort konnte er die letzte Nachtmaschine zum Washingtoner Reagan Airport nehmen. Ihm blieben noch ein paar Stunden, das war ausreichend Zeit, um die Maschine zu erwischen. Er buchte den Flug und fing an zu packen. Doch gerade, als er fertig war und seine Tasche schloss, klingelte das Handy, das er für Roland Albert gekauft hatte.
Rolands Telefon? Bernhard war der Einzige, der die Nummer hatte. Die Anruferkennung zeigte einen örtlichen Anschluss.
»Roland.«
»Ich muss Sie sehen.« Das war Bernhards Stimme. »Sofort.«
29
Die Bombe war eine plumpe Konstruktion, eine Stahlkugel, aus der der lange Lauf des »Speers«, des rückstoßlosen Geschützes, ragte. Mehr als plump. Hässlich. Das Ding sah aus wie eine überdimensionale kaputte Hantel, wie eine an ein Ofenrohr geschmiedete Bowlingkugel, wie das Skulpturprojekt eines besonders unbegabten Studenten. Aber es sah ganz bestimmt nicht wie das aus, was es war, fand Baschir.
An diesem Morgen war Baschir allein im Stall, nachdem er zwei Tage lang Seite an Seite mit Nasiji und Jussuf den Stahl-Tamper geschmiedet und den Lauf
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