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John Wells Bd. 3 - Stille des Todes

John Wells Bd. 3 - Stille des Todes

Titel: John Wells Bd. 3 - Stille des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berenson
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bildeten.
    Die russische Nuklearbürokratie war immer noch nicht ganz im digitalen Zeitalter angekommen. Pliakows Büro war voll mit Personalberichten, Anweisungen aus der
Rosatom-Zentrale und Daten ankommender und abfahrender Konvois, die fein säuberlich in Ordnern auf den Regalen hinter seinem Schreibtisch abgelegt waren.
    »Sollte heute nicht ein Konvoi kommen?«, fragte Grigorij. Ich finde keine Unterlagen.«
    »Die Burschen haben Verspätung.«
    Jussuf hatte Wort gehalten, was Grigorij nicht weiter überraschte. »Was, sind sie unterwegs saufen gegangen?«
    »Angeblich war die Straße wegen eines Unfalls gesperrt. Sie hoffen, es bis zehn zu schaffen. Du weißt, was das heißt. Eine kalte Nacht für dich, es sei denn, Oleg« - der für die Nachtschicht zuständige Betriebsleiter - »bleibt ausnahmsweise mal nüchtern.«
    Pliakow grinste. Er war ein anständiger Kerl, der Grigorij vielleicht einmal im Jahr auf ein Gläschen zu sich nach Hause einlud. Für einen Augenblick geriet Grigorijs Entschlossenheit ins Wanken. Konnte er wirklich all diese Männer verraten, mit denen er jahrelang gearbeitet hatte? Dann fiel ihm wieder ein, wie Jussuf die Orange zerhackt hatte.
    »Es geht auch ohne Oleg«, sagte Grigorij. »Ich kümmere mich darum.«
    »Wusste ich’s doch. Sieh dir die Gurkenkisten an, und dann ab damit ins Lagerhaus Nord.«
    Im Sonderbereich gab es zwei Lagerhäuser. Das nördliche, ein niedriger Betonblock, enthielt etwa einhundert Gefechtsköpfe, die noch im aktiven Einsatz, aber zur Reparatur nach Majak gebracht worden waren. Das südliche Lagerhaus war größer und lag tief unter der Erde. Dort waren aus dem Verkehr gezogene und veraltete Gefechtsköpfe untergebracht. Allerdings mochten sie erneut
zum Einsatz kommen, falls der neue Kalte Krieg in eine heiße Phase eintrat.
    »Ich kenne den Ablauf. Ich habe vor ein paar Jahren mal einen Konvoi angenommen.«
    »Gut. Ich schicke die Codes in ein paar Minuten, bevor ich gehe.« Eine weitere Sicherheitsvorkehrung bestand darin, dass die Codes für die Gurkenkisten - russischer Jargon für die Behälter mit den Gefechtsköpfen - nicht von den Waffenkonvois mitgeführt wurden. Stattdessen wurden sie über das abgesicherte interne Netzwerk, das die russischen Nuklearanlagen miteinander verband, nach Majak geschickt. Selbst wenn die Kisten bei einem Terroranschlag gestohlen wurden, waren sie nicht zu entriegeln und mussten aufgeschweißt werden, um an die Gefechtsköpfe in ihrem Inneren zu kommen.
    »Geht in Ordnung. Bis morgen, Garry.«
    »Bis morgen.«
     
    Noch nie war eine Nacht so langsam vergangen. Wieder und wieder wanderte Grigorijs Blick zu der Uhr über seinem Schreibtisch. Jedes Mal war er entsetzt, wie langsam sich die Zeiger bewegten. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Zwei Minuten. Durch das schmale Fenster sah er, dass es draußen zu schneien begonnen hatte.
    Um neun Uhr ging er zu Olegs Büro. Der Schichtleiter lag auf der Couch. Eine Flasche Wodka steckte halb verdeckt hinter einem Polster, sein Hemd hing aus der aufgeknöpften Hose, seine Wampe hob und senkte sich mit jedem Atemzug. Als Grigorij hereinkam, flatterten seine Lider, und er bedachte Grigorij mit dem herablassenden Lächeln, das dieser schon eintausend Mal gesehen hatte. Der Wodka hat vielleicht meine Leber zerfressen , sagte dieses
Lächeln, aber dafür warten zu Hause Frau und Kinder auf mich, und du gehst jeden Morgen in deine leere Wohnung zurück. Vielleicht war das auch reine Projektion. Vielleicht dachte Oleg nur an den nächsten Schluck. Trotzdem würde Grigorij auf dieses Lächeln gut verzichten können.
    Oleg murmelte etwas.
    »Ja?«
    »Das Licht«, sagte Oleg. »Mach dich ausnahmsweise mal nützlich. Schalt es aus. Und mach die Tür zu. Ich will nicht, dass du mich anglotzt. Nachher kriegst du noch Hunger.«
    »Geht klar, Boss.«
    Grigorij schaltete das Licht aus und ging zurück in sein Büro. Als er ein paar Minuten später erneut nachsah, schnarchte Oleg laut. Nein, Oleg würde nicht zum Problem werden.
    Zehn Uhr. Hätte der Konvoi nicht inzwischen da sein müssen? Wo blieb er nur? Er ging zur Sicherheitszentrale, einem fensterlosen Raum, von dem aus die Alarmvorrichtungen und Kameras im Werk überwacht wurden.
    Tajid nickte, als Grigorij hereinkam. Er fummelte an einem dunklen Bildschirm herum. Die Monitore gingen immer wieder kaputt, aber diesmal war es kein Zufall. Es handelte sich um einen von drei Bildschirmen, die das Waffendepot Nord überwachten. Ohne ihn sahen die

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