John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Männer in der Zentrale nur einen Teil der Vorgänge im Lagerhaus.
»Hallo, Cousin«, sagte Tajid. Er wirkte wie immer. Der Raum sah aus wie immer. Eine endlose Nacht in Majak, wie so viele andere. Grigorij konnte noch nicht recht glauben, dass er es wirklich tun würde. Er deutete auf den dunklen Monitor.
»Zu viele Pornos?«
»Wir brauchen keine Pornos«, erwiderte Arkadij Merin, der leitende Sicherheitsbeamte der Nachtschicht. »Wofür haben wir unsere Fantasie? Und Tatu.«
Gegen jede Vorschrift lungerte in einer Ecke der Sicherheitszentrale eine dicke, schwarz gestreifte Katze herum. Im vorletzten Winter hatte sie ein Wachmann während eines Schneesturms im Sonderbereich gefunden. Auf der Suche nach Schutz hatte sie sich irgendwie durch die Elektrozäune geschlagen. Da sie keine Marke trug, hätte sie eigentlich eingeschläfert werden müssen. Aber Arkadij hatte sie ins Herz geschlossen und sie zum Maskottchen der Wachmänner ernannt. Er nannte sie Tatu, nach einem angeblich lesbischen russischen Pop-Duo, das einige Jahre zuvor populär gewesen war.
»Ist irgendwas los?«
»Hier ist es so ruhig wie die Jungfrau im Hurenhaus«, erwiderte Arkadij. Die äußeren und inneren Tore waren rund um die Uhr besetzt, aber in der Einsatzzentrale befanden sich kaum Leute. An diesem Abend hatten nur drei Mann Dienst: Arkadij, Tajid und Marat, ein Mittfünfziger mit einem bellenden, verschleimten Raucherhusten, der sich in den vorangegangenen Wochen verschlimmert hatte.
»Wann soll denn der Konvoi kommen?«
»Angeblich gegen elf.«
»Noch später?«
»Einer der BTRs hatte Probleme mit dem Motor.«
»Die haben echt eine Pechsträhne. Und das in so einer Nacht.«
»Könnte schlimmer sein. Im Februar zum Beispiel.« Arkadij wandte sich wieder seinen Monitoren zu.
»Ruft mich, wenn sie da sind«, sagte Grigorij. »Unser verehrter Chef meditiert über neue und bessere Methoden des Managements und möchte nicht gestört werden.«
»Meditiert? Du bist ja ein Witzbold, Grigorij.« Arkadij grinste.
Grigorij ging wieder. Wenn er länger geblieben wäre, wäre das aufgefallen, und es musste alles ganz normal wirken. Aber als er in seinem Büro war, konnte er sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Schließlich gab er den Versuch auf, saß nur noch am Schreibtisch und starrte auf den Sekundenzeiger. Er wusste, dass das, was er plante, falsch war. Falsch war gar kein Ausdruck. Trotzdem gab es kein Zurück. Er hätte nie gedacht, dass es ihm so leichtfallen würde, die Regeln zu brechen. Vielleicht war jeder Mensch im Grunde ein Ungeheuer.
Einige Jahre zuvor hatte ein Serienmörder in Tscheljabinsk sein Unwesen getrieben und Dutzende von Prostituierten getötet, bevor eine aus seinem Wagen entkommen war und die Polizei gerufen hatte. Der Mörder - Grigorij wusste den Namen nicht mehr, aber der Mann war Elektriker gewesen und hatte seine Opfer mit dicken schwarzen Kabeln erwürgt - grinste während der gesamten Verhandlung. Als der Richter ihn fragte, ob er etwas zu sagen habe, sein Bedauern äußern wolle, schüttelte er den Kopf. »Ihr habt Glück, dass ihr mich erwischt habt. Ich hätte nie aufgehört«, sagte er. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für ein Gefühl das ist.«
In diesem Augenblick konnte Grigorij sich das sehr wohl vorstellen.
Das Telefon klingelte. »Sie sind da. Am Haupttor.«
»Danke, Arkadij.«
Grigorij schnappte sich seinen Mantel und die Dokumente, die er brauchen würde - einschließlich des einzelnen Blatts mit den Codes für die Entriegelung der Transportkisten. Er mahnte sich selbst zur Ruhe. Nur keine Hektik. Die Anlieferung war eine belanglose Abweichung von der üblichen Routine, nicht mehr. Gemächlichen Schrittes ging er zur Sicherheitszentrale.
»Komm schon, Tajid. Genug Pornos für heute. Wir müssen unsere Besucher in Empfang nehmen.«
Die erste Hürde. Falls Arkadij Einwände dagegen hatte, dass Grigorij die Lieferung mit seinem Cousin zusammen annahm, konnten sie die Sache von vornherein vergessen. Aber damit rechnete Grigorij nicht. Arkadij hatte bestimmt keine Lust, selbst zu gehen, und den alten Marat in die Kälte hinauszuschicken, wäre rücksichtslos gewesen. Tatsächlich fütterte Arkadij Tatu und sah kaum auf.
»Viel Spaß, Tajid«, sagte er.
»Du bist ein echter Menschenfreund.« Tajid griff nach Mantel und Handschuhen und folgte seinem Cousin nach draußen.
Die erste Hürde war genommen.
Draußen schlug der eisige Wind Grigorij mit voller Wucht ins
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