John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Nächster. Nach Amirs Tod schloss sich Fouad einer örtlichen Miliz an, um die Schiiten zu bekämpfen, die in Ghazaliya einen Häuserblock nach dem anderen übernahmen. Drei Monate später verschwand er. Eine Woche danach fanden Kinder seine Leiche auf einem Fußballfeld. Die Finger waren abgehackt, das Gesicht war mit Brandwunden von Zigaretten bedeckt.
Nach muslimischer Tradition fand das Begräbnis so schnell wie möglich statt - nur einen Tag, nachdem Fouads Leiche entdeckt worden war, in einer Moschee in Khudra, einem sunnitischen Viertel direkt südlich von Ghazaliya. Die Frauen der Familie kreischten und jammerten am Sarg, eine herzzerreißende Klage wie aus einer anderen Welt, die den blauen Himmel über ihnen um Antwort anzuflehen schien. Khalid erschien in der Uniform der Republikanischen Garde zur Beerdigung, eine sinnlose Geste der Herausforderung gegenüber der Schia, die seinen Sohn getötet hatte. Einst hatte seine stolze Gestalt die Uniform ausgefüllt. Jetzt schlotterte sie ihm lose um die Schultern, und eine Epaulette hatte sich gelöst. Allen Männern, die ihn bei der Trauerfeier begrüßten, gab er dieselbe gemurmelte Antwort: »Zu früh. Zu früh.«
Er war sichtlich gealtert.
Die Zeremonie dauerte keine Stunde. Danach quetschte sich die gesamte Familie in Khalids BMW, um nach Ghazaliya zurückzufahren. Nasiji stieg in letzter Minute wieder aus, um mit seinem Cousin Alaa zu fahren. Das rettete ihm das Leben.
Auf einer Überführung über die westliche Hauptausfallstraße Bagdads zwangen zwei Toyota 4Runner Khalids BMW zum Anhalten. Vier Männer sprangen mit angelegten AK-47 heraus und schossen bereits, bevor ihre Füße den Asphalt berührten. Als die Scheiben des BMW zerbarsten, feuerten sie immer weiter. Dreißig Sekunden später waren sie verschwunden.
Nasiji erreichte die Überführung wenige Minuten darauf. Die Metallhaut des BMW war mit zahllosen Löchern durchsiebt. Blut, Knochen und Knorpel hatten sich über den Innenraum verteilt. Die Killer hatten aus nächster Nähe so viele Schüsse abgegeben, dass sie Khalid den Schädel praktisch weggeschossen hatten. Die grüne Uniform war schwarz von Blut.
Auf der Motorhaube der Limousine prangte ein Geschenk, das die Mörder zurückgelassen hatten, um ihre Opfer zu verhöhnen: eine Wanduhr, deren Zifferblatt ein Bild von Saddam war. In alten Zeiten hatte Saddam bevorzugten Mitgliedern der Baath-Partei als Zeichen seiner Wertschätzung wertlosen Plunder wie diese Uhr geschenkt. Daneben lag eine in groben arabischen Schriftzeichen hingekritzelte Nachricht: »Tod der Baath-Partei! Rache für die Schia! Irak den Irakern, nicht den Ratten Saddams!«
Wie sein Bruder Amir am 11. September gesagt hatte, war Nasiji ein guter Kämpfer. Er war zwar nur 1,75 Meter groß, aber gebaut wie ein Mittelgewichtler: schlank, muskulös und schnell. Als Jugendliche waren er und seine Brüder gefürchtet gewesen, weil sie andere schikanierten. Sie wussten, dass ihr Vater nur ein Wort zu den örtlichen Polizeibeamten zu sagen brauchte, um ihnen jeden Ärger zu ersparen.
Bei Schlägereien nahm es Nasiji dank seiner Schnelligkeit problemlos mit größeren Gegnern auf, duckte sich unter ihren Hieben weg und prügelte auf sie ein, bis sie die Flucht ergriffen oder zu Boden gingen. Er war der Aggressivste der Brüder und ging keinem Kampf aus dem Weg. Allerdings fürchtete er sich selbst geradezu vor der Erregung, die ihn überkam, wenn eine Rauferei anstand. Sein Mund wurde trocken, seine Hände schienen anzuschwellen.
Eines Nachmittags rempelte ein schiitischer Teenager aus Schula, einem Slum nördlich von Ghazaliya, Nasijis Schwester auf einem Markt im Viertel an. Als der Junge, dessen Namen Nasiji nie erfahren sollte, nach Hause ging, stieß Nasiji ihn in eine Seitenstraße.
Der Schiit war ein dünnes Bürschchen und dem Kampf nicht gewachsen. Nasiji vergewisserte sich mit einem Blick, dass ihn niemand beobachtete und schleifte den Jungen in eine mit Abfällen übersäte Gasse, die von der Hauptstraße aus nicht einsehbar war. Dort boxte er ihn in den Magen, bis sich der Junge krümmte und mit bebenden Schultern nach Atem rang.
»Du bist ein Nichts«, sagte Nasiji. »Sprich mir nach.«
»Ich bin ein N-n-nichts.«
Als der Junge aufsah, versetzte Nasiji ihm mit der Rechten einen Kinnhaken. Der Kopf wurde nach hinten gerissen, und der Junge brach auf dem geborstenen Beton zusammen.
»Bitte«, flehte er. »Ich hab doch nichts getan.«
»Gib mir deine
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