John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
damit schon ausrichten? Den Amerikanern war es egal, wie viele ihrer Kämpfer im Irak starben und welchen Schaden sie im Land anrichteten.
Wie sein Bruder Amir am 11. September gesagt hatte: Die Amerikaner scherte es nicht, wenn im Irak ganz gewöhnliche Menschen ums Leben kamen. Aber in einem hatte sich Amir getäuscht. Die Amerikaner hatten die Botschaft des 11. Septembers immer noch nicht verstanden.
Nasiji würde ihnen eine Lektion erteilen müssen, die sie nicht vergaßen. Mit dem, was er in München gelernt hatte, würde er ihre Städte in Feuerseen verwandeln.
Nasiji kehrte mit einer ungewöhnlichen Bitte nach Tikrit zurück. Zwei Wochen lang hörte er nichts, und er fragte sich, ob er zu viel verlangt hatte. Dann, es war schon fast Mitternacht und er hatte sich in einem Haus in Ghazaliya zur Ruhe begeben, klingelte sein Telefon.
»Sayyid, es ist arrangiert. Für morgen.« Die Stimme gehörte einem Syrer, den er nur als Bas kannte. »Wo bist du?«
Nasiji gab seinen Standort durch.
»Ich schicke dir für sechs Uhr früh ein Auto. Ich weiß nicht, bei wem du bist, aber sag ihnen nichts. Geh einfach.«
»Natürlich. Bas?«
»Ja.«
»Danke.«
In jener Nacht schlief Nasiji kaum. Er hatte sich auf dem Metallfeldbett zusammengerollt, seine Kalaschnikow, wie es sich gehörte, durch ein Laken geschützt, auf dem Betonboden unter dem Bett. Nachdenklich verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und überlegte, ob ihn der Scheich überhaupt anhören würde. Schließlich war er nur ein Dschihadi wie Millionen andere. Wenn er die Augen schloss, sah er den BMW seines Vaters auf der Überführung stehen. An jenem Tag hatte er zunächst weder die Leichen noch die Einschusslöcher wahrgenommen. Zuallererst waren ihm die Pfützen aufgefallen, die das aus dem Wagen sickernde Öl und Benzin auf dem Asphalt gebildet hatte. Als wollte er dem Anblick im Wagen selbst ausweichen, als nähme die Flüssigkeit auf dem Boden die Stelle des Blutes ein, das ihn erwartete, wenn er aufsah.
Und dann hatte er aufgesehen …
Nein. Genug. Weg mit den Erinnerungen.
»Nicht, was sie dir angetan haben«, flüsterte er vor sich hin, »sondern was du ihnen antun wirst.«
Er verbrachte die Nacht im Halbschlaf. Alle paar Minuten öffnete er die Augen. Als der Morgen nahte, war er froh.
Es wurde sechs Uhr und dann sieben. Nasiji fürchtete, der Fahrer könnte in einen Hinterhalt geraten oder verhaftet worden sein. Aber als er Bas schon anrufen wollte, fuhr vor dem Haus ein weißer Toyota Crown mit getönten Scheiben vor.
Vier Stunden später küsste Nasiji in einem Haus südlich von Ramadi einem massigen Mann in der Dischdascha, dem fließenden weißen Gewand der Saudis, die Hand.
Der Mann war Scheich Ahmed Faisal. Er und sein Cousin Abdul waren saudische Prinzen aus einer Nebenlinie und die wichtigste Geldquelle der irakischen Aufständischen. Die Faisals hatten im Irak die Rolle, die Osama bin Laden einst in Afghanistan gespielt hatte: Sie schleusten Bargeld und heilige Krieger für den Kampf gegen die Vereinigten Staaten ins Land. Abdul verließ Riad nur selten, aber Ahmed kam gelegentlich in den Irak, um sich über den Stand des Krieges unterrichten zu lassen.
Der Prinz hob die Hand. »Bitte setz dich.« Der schwarze Bart des Saudis war ordentlich gestutzt, sein Gewand makellos, ein krasser Gegensatz zu Nasijis ungepflegtem Bart und seiner dreckigen Jeans.
»Danke, Scheich«, erwiderte Nasiji. »Es ist eine Ehre für mich, mit Ihnen sprechen zu dürfen. Wir hier im Irak sind uns Tag für Tag Ihrer großen Güte bewusst.«
»Ich habe das Video von Mahmudijah gesehen. Wenn wir mehr Soldaten wie dich hätten, hätten die Amerikaner das Land vielleicht schon verlassen.« Ahmed sprach ein elegantes klassisches Arabisch, wie es Nasiji bisher nur im Nachrichtensender Al-Dschasira gehört hatte. Der Scheich tippte auf das silberne Etui, das auf dem Tisch zwischen ihnen lag. »Zigarette?«
»Nein, danke. Ich weiß, wie beschäftigt Sie sind, und will Sie nicht lange aufhalten.« In aller Eile schilderte Nasiji seinen Plan.
Als er fertig war, zündete sich Ahmed eine frische Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. »Junger Mann, du bist nicht der Erste, dem dieser Gedanke gekommen ist. Bisher sind alle gescheitert.«
»Ich verfüge über gewisse Vorteile.«
»Deine Ausbildung, ja. Ansonsten hätte ich mich auch nicht bereiterklärt, dich zu empfangen.«
»Falls ich das Material bekomme, werde ich es nicht verschwenden.«
»Das
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