John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
damit sie nicht
durch die Luft flogen, wenn der Seegang heftig wurde. Und in der Ecke standen die Kisten. Natürlich, die Kisten. Die beiden großen mit den Bomben, die lange schmale mit den SPG-9-Panzerbüchsen und schließlich die kleine mit der Munition.
Nasiji fuhr sich mit der Hand über das brennende Gesicht. Er fühlte sich elend. Das kam wohl von dem Traum. Oder von den Wellen. Lieber hätte er in Ghazaliya gegen die Schiiten gekämpft, als auf diesem Schiff festzusitzen.
»Sayyid«, sagte Jussuf.
»Mir geht es gut«, erwiderte Nasiji. »Ich habe nur diesen trostlosen Ozean satt, das ist alles. Ich will an Land, damit wir an die Arbeit gehen können.«
Jussuf nickte, wirkte aber nicht überzeugt. Nasiji setzte sich auf und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Der Seegang war heute Morgen noch schlimmer als sonst. Dabei hätte er sich all dieses Elend ersparen können. Bernhard hatte ihn in Hamburg gewarnt, aber er hatte nicht hören wollen. Egal. Bald würden sie wieder festen Boden unter den Füßen haben.
»Brauchst du den Eimer?«, fragte Jussuf.
Es klopfte leise an der Kabinentür. Haidar, der kleine Algerier, der ihnen das Essen brachte, stand draußen. »Der Kapitän bittet Sie, um elf Uhr zu ihm nach oben zu kommen. Möchten Sie Frühstück?«
Das Schiff legte sich leicht auf die linke Seite und dann deutlich stärker nach rechts. Nasiji spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Er kniff die Augen zu und stöhnte.
»Heute lieber nicht«, sagte Jussuf.
Neun Tage lang war die Juno mit einer konstanten Geschwindigkeit von sechzehn Knoten nach Westen über
den Atlantik gefahren. Die meiste Zeit über war der Himmel bleigrau gewesen und hatte Regen- und Schneeschauer oder Eisregen auf sie niedergehen lassen. Die Mahlzeiten, die Haidar ihnen brachte, bestanden aus dicken Fleischeintöpfen und Kartoffelpüree. Die ungewohnte Kost lag Nasiji schwer im Magen.
Um sich die Zeit zu vertreiben, las er die Physikbücher, die er mit an Bord gebracht hatte, um sich auf die Schwierigkeiten des Bombenbaus vorzubereiten, mit denen er sich bald würde befassen müssen. Wenn er nicht mehr lesen konnte, spielte er mit Jussuf Schach auf dem kleinen Magnetbrett, das Grigorij Farsadow gehört hatte, bis er seine Reise auf den Grund des Schwarzen Meeres angetreten hatte. Nasiji hielt sich für einen gewieften Spieler, aber zu seinem Ärger verlor er genauso oft gegen Jussuf, wie er gewann. Der Syrer kannte Dutzende von Eröffnungszügen, durch die Nasiji unweigerlich ins Hintertreffen geriet.
Als Haidar jetzt die Kabinentür schloss, griff Jussuf zum Schachbrett. »Wie wär’s mit einer Partie? Oder fühlst du dich nicht gut genug?«
»Von mir aus gern«, erwiderte Nasiji.
Jussuf stellte die Figuren auf und setzte sich neben Nasiji. »Versprich mir was, Sayyid.«
»Und was?«
»Wenn ich gewinne, erklärst du mir, wie wir sie zünden wollen.« Jussuf deutete mit dem Kopf auf die Kisten, die mit dicken Stahlketten am Kabinenboden befestigt waren.
»Schon wieder.« Seit Tagen lag Jussuf ihm damit in den Ohren. Nasiji hatte sich ohne besonderen Grund geweigert, ihm seinen Plan zu erklären. Vielleicht machte es ihm
Spaß, Jussuf zu ärgern. »Also gut. Aber ich nehme Weiß. Und wenn ich gewinne oder es ein Patt gibt, fragst du mich erst wieder, wenn wir in den Vereinigten Staaten sind.«
»Einverstanden«, erwiderte Jussuf. Er begann mit einer vernichtenden Eröffnung, die Nasiji noch nie gesehen hatte. Nach nur einer Stunde musste er sich geschlagen geben. Jussuf packte das Brett mit einem selbstzufriedenen Grinsen weg.
»Müssen wir nicht nach oben und mit dem Kapitän reden?« Tatsächlich war es erst 10.15 Uhr.
»Sayyid, du hast es mir versprochen.«
»Wo soll ich anfangen?«
»Wie zünden wir die Bomben? Wir haben die Codes nicht.«
»Merkwürdig«, sagte Nasiji. »Alle denken immer nur an die Codes. Du bist nicht der Einzige. Wenn die Russen dächten, wir hätten sie, hätten sie schon längst die ganze Welt alarmiert. Jeder Polizist, jeder Zollbeamte, jeder Soldat zwischen Moskau und Washington würde nach uns Ausschau halten. Stattdessen versuchen sie, die Sache zu vertuschen. Das ist unser größter Vorteil.«
»Haben wir die Codes denn?«
»Die Codes nicht, aber etwas, das viel wichtiger ist.«
»Was könnte wichtiger sein als die Codes.«
» Die Bomben. Was ist das Schwierigste daran, eine Atomwaffe zu bauen, Jussuf?«
Jussuf stutzte. Offenbar war er unsicher, ob das eine Fangfrage
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