John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
kam? Sie hätten direkt zur Schweizer Polizei gehen können. Oder sogar zu den Deutschen.«
»Nachdem wir bereits zwei Geschäfte getätigt hatten,
die reibungslos gelaufen waren, nein. Außerdem weiß jeder, dass ich nicht zur Polizei gehe. Wenn ich ein Geschäft nicht machen kann, mache ich es nicht. Aber das geht nur mich etwas an. Und sich nach Beryllium zu erkundigen ist nicht verboten.«
Eine höchst zweifelhafte Einstellung, doch Wells verkniff sich jeden Kommentar. »Er hat sich also an Sie gewandt. Gesetzt den Fall, dem Türken und seinen Freunden gelingt es, sich ausreichend hoch angereichertes Uran oder Plutonium zu beschaffen: Ist so eine Bombe schwierig zu bauen?«
»Ich bin kein Experte, aber ich glaube nicht.«
»Wie viele Leute braucht man dafür?«
»Nicht einmal fünf. Vergessen Sie nicht, dass es sich um eine sehr alte Technologie handelt.«
Wells dachte an die revidierte Meldung der Russen bezüglich des abhandengekommenen Materials. »Wenn diese Leute das nötige Uran hätten, wie lange würden sie brauchen?«
»Das weiß ich nicht. Das hängt davon ab, ob sie sich auskennen und welche Menge sie haben. Mindestens zwei Wochen, höchstens drei Monate.«
»Falls sie genug haben. Wer auch immer sie sind. Das ist alles theoretisch. Schall und Rauch.«
»Schall und Rauch«, stimmte Kowalski zu. »Aber was, wenn doch was dran ist?«
Wells sah sich um. Die Bar war der falsche Ort für dieses Gespräch. Nicht weil sie in keinster Weise abhörsicher war, obwohl das natürlich auch zutraf. Ihre Umgebung passte einfach nicht zum Thema. Aber welcher Raum wäre passend gewesen? Vielleicht ein unterirdischer Bunker im Hauptquartier des strategischen Luftwaffenkommandos.
Erleuchtete Weltkarten auf wandbreiten Bildschirmen. Grimmig dreinblickende Männer mit Generalssternen auf den Schultern, die der heranschleichenden Bestie ins Auge sahen. Nicht eine Hotellobby, in der drei Sofas weiter eine Wasserstoffblondine saß.
»Wissen Sie was?«, sagte Wells zu Kowalski. »Jetzt trinke ich doch was.«
Da das Baur au Lac kein Budweiser hatte, bestellte Wells ein Heineken. Der Kellner rümpfte ein wenig die Nase, kehrte jedoch nach wenigen Sekunden mit der Flasche zurück und füllte gekonnt ein schmales, hohes Glas.
»Wie heißt der Mann?«, fragte Wells.
»Was bekomme ich dafür?«
»Einen Waffenstillstand. Ihr Leben.«
»Vielleicht ist es ja Ihr Leben. Vielleicht erwischen meine Männer Sie diesmal. Ich bin nicht auf Sie angewiesen.«
»Warum machen Sie sich dann die Mühe?«, fragte Wells. »Selbst wenn es diese Bombe wirklich geben sollte, wird sie nicht in Zürich hochgehen. Was interessiert Sie das also? Haben Sie Angst um Ihr Geschäft?«
»Eine Atomexplosion? Schlecht fürs Geschäft?« Kowalski grinste höhnisch. »Nehmen wir an, es trifft New York. Die Vereinigten Staaten würden durchdrehen. Die USA würden allen Ländern von Marokko bis Bangladesch mit einem Angriff drohen und die Hälfte von ihnen tatsächlich angreifen. Neue Bomber, neue Flugzeugträger, neue Panzer, neue Lasergewehre. Satelliten, die Raketen abschießen. Eine Billion Dollar zusätzliche Ausgaben pro Jahr. Sie glauben mir nicht? Sehen Sie sich doch an, was seit dem 11. September passiert ist. Und das war noch gar nichts.«
»Selbst wenn Sie Recht haben, würden wir die Waffen nicht bei Ihnen kaufen.«
»Wenn die Vereinigten Staaten losschlagen, muss die restliche Welt reagieren. Die Russen stocken um eintausend Panzer auf, also legen sich die Chinesen fünf Divisionen zu. Dann kommen die Inder, die Pakistaner, die Bangladescher und … Ich glaube, Ihr Präsident Reagan nannte es den Trickle-down-Effekt.«
Wells wurde klar, dass Kowalski Recht hatte. Nach dem ersten Schock und den Versprechen, abzurüsten und die Welt von Atomwaffen zu befreien, nachdem die leeren Worte verklungen waren, würde sich die Welt für den Dritten Weltkrieg rüsten. Die Panzerfabriken in Russland und die Raketenwerke in China würden auf Hochtouren laufen, solange sich die Amerikaner nicht sicher fühlten. Also für immer. Und hier in Zürich würde Pierre Kowalski den Kontakt zwischen Käufern und Verkäufern herstellen und sich dabei eine Scheibe vom Kuchen abschneiden.
Kowalski hatte Recht, aber Wells’ Frage hatte er immer noch nicht beantwortet.
»Warum erzählen Sie mir das? Das kostet Sie doch Geld. Wie viele Menschen sind durch die von Ihnen verkauften Waffen gestorben? Im Sudan und sonstwo? Fünfzigtausend? Hunderttausend? Sie
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