JoJo Und Ich
dann ging es beinahe senkrecht wieder abwärts, schneller und schneller.
Wir schraubten uns gerade wieder durch ein Seegrasbett, als ich einen heftigen Schlag auf die linke Schulter bekam und augenblicklich innehielt. Der Ruck fuhr mir durch den ganzen Körper, und es krachte laut, aber noch wusste ich nicht, ob es von brechenden Knochen kam oder einfach von dem Gegenstand, auf den ich geprallt war. Ich spürte einen scharfen Schmerz und dann das beißende Salzwasser in der offenen Wunde an der Schulter.
Mein Arm wurde taub.
Der Schmerz war unerträglich, aber ich schaffte es doch, einen Blick nach unten zu werfen. Da war sie, eine Knolle von grünlicher Hirnkoralle, nicht besonders groß, aber eben unsichtbar im Schildkrötengras. Der Aufprall war so heftig gewesen, dass ich die Knolle mit der Schulter abgebrochen hatte. Jetzt sah ich mir die Schulter an und konnte nur das Gesicht verziehen. Die Koralle hatte eine tiefe Wunde gerissen, handtellergroß. Ich sah Haut im Wasserstrom wedeln, darunter weißes Bindegewebe, womöglich Knochen, mich grauste. Aus der Wunde sickerte dunkles Blut; die Wolke wurde umso heller, je weiter sie sich ausbreitete.
JoJo sah sich meine Schulter an, dann den Korallenkopf, wie der meine Schulter und anschließend die Koralle. Er schimpfte mit hohen Pieps- und Quäktönen auf sie ein wie eine Mutter auf einen Rüpel, der ihr Kind malträtiert. Mir freilich half das jetzt nicht mehr viel.
Ich streckte den Arm aus und hoffte, dass JoJo mich abschleppen würde, aber er schubste mich nur in Richtung Strand und hielt sich dann mit besorgtem Blick ein Stückchen rechts von mir. Da er selbst erst kürzlich eine solche unsanfte Begegnung mit Korallen gehabt hatte, wusste er wohl, was für Schmerzen ich ausstand, von der Blutung ganz abgesehen. Aber war ihm auch klar, dass ich meinen linken Arm nicht mehr bewegen konnte und dass er wie taub war?
Er gab angemessen ernste Schnalzlaute von sich und flötete begütigend, während er auf dem langen Rückweg zum Strand meine Schulter deckte. Vielleicht wollte er mich nicht ziehen, weil er spürte, dass die Blutspur Haie anziehen konnte und er dann sofort kampfbereit sein musste.
Da ich den linken Arm nicht heben konnte, wurde mein Heimweg zu einem langen, qualvollen »Humpeln«. Die Wunde blutete weiter und schwächte mich. Wie gut, dass mein Freund bei mir war, seine Stärke und Wachsamkeit beruhigten und trösteten mich. Jetzt war es an ihm, mir heilende Energien zu schicken und auf mich aufzupassen.
»Sag mal, JoJo«, erinnerte ich ihn, während er meine Schulter ansummte, »es ist doch so viel von der heilenden Kraft der Delfinlaute die Rede. Jetzt wäre die Gelegenheit, das einmal voll auszuspielen.«
Die Schulter tat mir zwischendurch immer wieder unaussprechlich weh, aber ich wusste, dass ich in Bewegung bleiben musste, denn irgendwann würden Haie auf die Blutspur stoßen. Kein Mensch wusste, wo ich mich aufhielt, weit und breit war nichts und niemand zu sehen, nicht einmal ein Fischerboot am Horizont. Also schwamm ich weiter.
Ich ignorierte meine Schmerzen, programmierte mich darauf, sie nicht wahrzunehmen. Das Salzwasser brannte furchtbar, aber ich redete mir ein, es sei ein kalter Umschlag, der meine Schulter betäubte. Und für eine Weile wurde ich das Schmerzgefühl auf diese Weise tatsächlich los.
Schwimmen, schwimmen. Eine halbe Stunde lang. Endlich zeichnete sich in der Ferne der Strand ab. Ich hielt an, um mich auszuruhen, mit den Beinbewegungen eines Radfahrers langsam Wasser tretend. Ich sah der Blutspur nach, die ich gezogen hatte. Im Grunde war ich ein lebender Köder. JoJo blieb ganz nah bei mir und sah mich aus seinen sanften braunen Augen besorgt an.
»Es wird schon wieder, mach dir keine Sorgen«, sagte ich. Auch wenn er die Worte nicht verstand, die Schwingung nahm er sicher auf und fühlte sich beruhigt. Ich rückte Maske und Schnorchel zurecht und hängte das Gesicht wieder ins Wasser. Nur noch ein paar Hundert Meter. Als ich mich dem Strand näherte, war weit und breit kein Mensch zu sehen.
Weiter mühte ich mich durch die Wellen. JoJo blieb auch hier im Flachen dicht neben mir. Als ich dann wieder festen Boden unter den Füßen hatte, hob er den Kopf aus dem Wasser und beobachtete, wie ich mir das Badetuch um die Schulter legte. Es saugte sich schnell mit Blut voll. Ich bestieg mein motorisiertes Dreirad, das mit einer Hand wahrlich nicht leicht zu bedienen war. Als ich schließlich anfahren konnte, winkte ich
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