JoJo Und Ich
sie geschrieben hat? Wäh rend der Einweisung vor dem Flug setzte ich eine angemessen seriöse Miene auf und nickte immer wieder bedächtig. Ich zwinkerte Anna zu, damit sie die Sache nicht allzu ernst nahm.
Und dann waren wir auch schon in der Luft.
Ich war als Erster dran und stellte mich zusammen mit meinem Tandem-Master an die geöffnete Flugzeugtür. Der Wind fegte mir die Haare nach hinten, ich zeigte Anna beide Daumen, und weg waren wir. Annas begeisterter Aufschrei folgte uns, während wir wie eine Möwe auf Sturzflug gingen. Der Wind mochte mir noch so in den Ohren rauschen, ich hörte nur die Freude, die Anna herausschrie, als auch sie absprang.
Sobald wir gleichauf waren, zogen unsere Tandem-Master die Reißleinen.
Wir hörten, wie sich das Tuch entfaltete, es gab einen Ruck und dann war es plötzlich sehr still. Auch wir schwiegen und schwebten unter unseren Medusenschirmen dahin.
Langsam ging es auf einen langen Sandstrand und das glitzernde blaue Meer zu. Ich empfand nichts als vollkommene Freiheit und die Bereitschaft, mein Schicksal anzunehmen, wie immer es auch aussehen mochte. Der Ausblick entsprach vielleicht dem, was Cherubim sehen, und für einen Augenblick traf das Licht Annas Gesicht so, dass ich wirklich glaubte, sie sei ein Engel geworden. Es war ein Gesicht voller Unschuld und seligem Frieden.
Viel zu schnell glitten wir dem Erdboden entgegen, aber die Landung war so sanft, dass sie mich an das Sinken von abgerissenem Seegras erinnerte.
Am Abend saßen wir wieder am Strand, und ich fragte Anna noch einmal: »Gibt es sonst noch etwas, was du so richtig von Herzen gern tun würdest?«
»Dir und JoJo zusehen.« Die Antwort kam schnell. Anna lächelte.
Da erst wurde mir klar, dass meine Beziehung zu diesem Großen Tümmler längst nicht mehr nur ihn und mich betraf. Vielleicht musste es jetzt mehr um Heilung gehen, um Glück, Ermutigung – um Trost für Menschen, die ihn drin gend brauchten.
Zwei Wochen musste Anna JoJo und mich beobachten, bevor sie die Sicherheit des Strandes verlassen und sich der Launenhaftigkeit des Wassers in JoJos Spielgefilden anvertrauen konnte. Obwohl wir von Touristen umlagert wurden, war das Schwimmen mit dem Delfin für sie doch ein zutiefst persönliches Erlebnis. In ihr Tagebuch schrieb sie:
Ich bin total begeistert und lege mich ins Zeug, um mit JoJo gleichauf zu bleiben. Mein Herz klopft wie wild. Am liebsten würde ich ihn anfassen, einfach um sicher zu sein, dass er echt und wirklich da ist, doch ich halte mich zurück und sehe ihm nur zu. Ich bin eine Dreiviertelstunde im Wasser, aber es kommt mir vor, als wären es nur wenige Minuten. JoJo kommt ganz nahe zu mir und steckt mir fast die Nase ins Gesicht. Beinahe erschrecke ich, aber ich weiß, er wird mir nichts tun, solange ich ihn richtig behandle. Irgendwann bin ich dann doch müde, und es werden auch immer mehr Leute, die den Delfin sehen wollen. Ich habe das Gefühl, ihn abschirmen zu müssen. Am liebsten wäre es mir, wenn die Leute ihn in Ruhe lassen würden.
Es gibt nur wenige Dinge im Leben, die man nie vergisst. Eines aber gehört sicher dazu: wenn man jemandem, der nur noch Monate zu leben hat, einen Traum erfüllen kann und dann diesen Blick sieht, der keine Worte braucht, ein schlichtes Lächeln, das danke sagt, ein Nicken. Dies ist ein Moment tiefen beiderseitigen Annehmens, von dessen Intensität und Reinheit man ein Leben lang zehren kann.
Ich stand hinter Anna und hielt sie fest, als ich sie JoJo prä sentierte. Vor Aufregung zitterte ich fast selbst ein wenig. Dann aber durchlief mich ein ganz warmes Gefühl. Plötzlich wusste ich, dass ich an diesem Tag einen sehr wichtigen Teil meiner Bestimmung gefunden hatte. An Anna erfüllte sich etwas von meinem Daseinszweck, und so ist sie jetzt ein Teil meiner neuen Reise.
Später überlegte ich zusammen mit Anna, wie man auch anderen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben könnte, Freude und Begeisterung mit JoJo und der Insel zu erleben. Bisher hatte ich nur ganz gelegentlich jemanden wie Sean oder ein behindertes oder autistisches Kind mit JoJo bekannt gemacht, und immer nur dann, wenn die Eltern oder Betreuer mich direkt darum gebeten hatten. Das war immer ein großes Vergnügen. Aber eigentlich konnte dieser Blasenring ja noch viel größer werden, wenn sich die Möglichkeit herumsprach. Würde das mein neuer Lebensinhalt sein?
Anna war begeistert von diesem Gedanken, und so begann sich ein neues Projekt abzuzeichnen.
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