Joli Rouge (German Edition)
Muskeln spürten das Gewicht des
Schiffes und genossen den Moment, in dem es sich beugte. Mit
pfeifendem Geräusch durchschlug eine feindliche Kugel die
Fockmars.
»Wir sind in Schussweite!« Er keuchte vor Anstrengung.
»Gewehre! Feuer!« Der Befehl des Kapitäns folgte
augenblicklich. Die Bukaniere legten an und feuerten ihre
erste Salve ab. Der aufsteigende Rauch wurde vom Wind in die
Segel gehoben und verblieb dort wie eine unheilvolle
Gewitterwolke. Spanische Sprachfetzen durchdrangen kurz
darauf den Nebel, gefolgt von Blitzen und Holzsplittern, die
flinke Kugeln in die
La Poudrière
rissen. Antoine zog
instinktiv den Kopf ein. Sein Herz zuckte, als ein Bukanier
stumm hintenüberfiel. Er war getroffen worden. Das Blut aus
seinem Hals vermischte sich mit dem schwarzen Pulver, das
aus dem Behälter an seiner Hüfte rieselte.
»Feuer!« Die übrigen Bukaniere zielten unbeeindruckt und
entließen ihre Ladung ohne langes Zögern. Schmerzensschreie
zeugten davon, dass sie ihr Ziel nicht verfehlt hatten.
Antoine glaubte, ein schadenfrohes Lächeln auf ihren
Gesichtern zu erkennen.
»Feuer!« Erneut nahmen die Bukaniere das spanische Schiff
unter Beschuss. Nun hieß es, die Musketen nachzuladen. Mit
dem Rücken zur Reling entkorkten die Männer eilig ihre
Pulverhörner, während ihnen die Schiffsjungen die Musketen
reichten.
»Er fährt seine Kanonen aus!« L’Olonnais fluchte.
»Lass ihn feuern.« Antoine spürte den Schweiß auf seiner
Stirn. Das Ruder vibrierte in seinen Händen. »Aus diesem
Winkel vermag er uns kaum zu verwunden, und es wird ihn
abbremsen. Das bringt uns nach vorne. Auf diese Weise können
wir ihn vorschiffs abfangen und entern.«
»Alle Mann in Deckung!« L‘Olonnais folgte dem Vorschlag.
Gleißende Funken aus dem Bauch des spanischen Schiffes
kündigten den Angriff an. Ein dumpfes Grollen schloss sich
an, bevor die dunkle Munition deutlich wahrnehmbar die Luft
durchschnitt. Antoine verengte die Augen. Eine Kugel
durchschlug in unmittelbarer Nähe die Reling des Poopdecks,
drang jedoch nicht unter Deck vor, sondern schoss achtern
über Bord. Die restlichen Kugeln erreichten die
La Poudrière
erst gar nicht und schlugen hohl auf dem bewegten Wasser
auf. Die Männer rappelten sich wieder auf die Beine und
johlten. Antoine griff hart ins Ruder und brachte die
La
Poudrière
kurzfristig längsseits des Feindes.
»Gewehre! Feuer!« Die Bukaniere feuerten eine erneute
Salve ab.
»Feindlicher Steuermann getroffen«, vermeldete der
Schiffsjunge aus seinem Ausguck, und Antoine pfiff erfreut
durch die Zähne.
»Kanonen! Feuer!«, rief L’Olonnais, und das Dröhnen der
schweren Waffen erschütterte das Deck. Die Männer hatten
Anweisung, die Geschütze in einem hohen Winkel abzufeuern,
um Segel und Takelage zu treffen. Sie benutzten
chain shots
,
zwei Kugeln, die mit einer Kette zusammengehalten wurden,
und eine tödliche Gefahr für die Masten darstellten. Das
spanische Schiff drehte ab, und ein Teil der Ladung
durchschlug die Bordwand des Vorschiffs. Antoine steuerte
hart backbord, und der Wind brachte die
La Poudrière
knapp
vor den Feind.
»Feuer!« Die Pulverratten hatten die Musketen der
Bukaniere erneut geladen und krochen in Deckung, als diese
ihre präzise Formation einnahmen. Die Luft war durchzogen
von grauen Schwaden. Zwischen ihnen sah Antoine flüchtende
Spanier, die über bereits toten Kameraden zusammenbrachen,
als die Bukaniere ihren tödlichen Kugelschwarm freiließen.
Der sogleich eingeleitete spanische Gegenangriff holte zwei
der Schiffsjungen aus der Takelage. Einer schrie im Fall,
verstummte jedoch, als beide Körper fast zeitgleich auf das
Mittelschiff klatschten. Antoine hielt den Atem an. Das
würden die Spanier büßen! Längst vergessen geglaubte
Rachegefühle lasteten schwer auf seiner Brust.
»Bereit machen zum Entern!«, befahl L’Olonnais und drehte
sich zu Antoine herum. »Die feigen Hunde verschanzen sich
bereits. Gib Acht auf ihre
grenades lardées
!«
Antoine nickte ihm zu. Er wusste um die hölzernen Kisten,
die mit Pulverkartuschen, Musketenkugeln und allerlei
Metallresten gefüllt waren. Ihre Zündschnüre reichten bis
hinter die Absperrungen und wurden in Brand gesteckt, wenn
die Flibustier das Schiff einnahmen. Antoine schnaubte. Er
hatte nicht vor, sich in die Luft jagen zu lassen! Geschickt
manövrierte er die
La Poudrière
an den Spanier heran.
»Holt die Großbrassen ein«, rief
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