Joli Rouge (German Edition)
Eure Eingeweide vom Deck eines Schiffes zu
kratzen, widerstrebt mir.« Er nickte Jacquotte zu. Sie
senkte leicht den Kopf, während ihr Blick weiter zu Pierre
wanderte. Die steile Falte auf seiner Stirn zeugte davon,
dass er ihre Entscheidung missbilligte.
»Wir werden es dem Olonnaisen nicht einfach machen!«
Pierre stemmte die Hände in die Hüften. »Lasst uns gemeinsam
zur Versammlung der Kapitäne erscheinen. Jeder deckt den
Rücken des anderen.«
Jacquotte wollte ihm danken, doch er ließ sie stehen.
Langsam zog sie ihre Machete aus dem sandigen Boden,
befestigte sie an ihrem Gürtel und folgte Pierre an der
Seite von Bigford.
Acht Wochen später wurden die sechs Schiffe der neuen
Mission von D’Ogeron bei Sonnenaufgang gemächlich in den
Golf von Honduras hineingezogen. Jacquotte starrte die
Wolken an, die glutrot vom Beginn des Tages zeugten, und
ahnte, dass diese Kaperfahrt ihnen kein Glück bringen würde.
Wie vorherzusehen war, hatte D’Ogeron das Kommando an
L’Olonnais übergeben. Von allen Kapitänen hatte einzig Jan
den Mumm besessen, sich nicht für die Mission zu verbürgen.
Von den restlichen Männern forderte D‘Ogeron eine rasche
Wiederholung des vorangegangenen Erfolgs. Diese Eile ließ
kaum Zeit für Vorbereitungen, was Jacquotte sehr gelegen
kam. Gemeinsam mit Pierre und Bigford legte sie bereits
früher ab und erwartete L’Olonnais bei Matamano, einer
Ansiedlung am Südende Kubas. Hier plünderte L’Olonnais
zunächst in nie gekanntem Ausmaß und raubte den Einwohnern
ihr gesamtes Hab und Gut, bevor er viele von ihnen tötete
und einen Teil als zusätzliche Späher mitschleppte. Derart
angestachelt ließ er die Schiffe anschließend Kurs auf Cabo
Gracias á Dios nehmen. Dabei gerieten sie jedoch in eine
verheerende Windstille, in der sie seitdem verharrten und in
nordwestlicher Richtung auf die Isla de los Pinos zutrieben.
Die Festlandküste erstreckte sich wie ein helles Band vor
ihnen und war gesäumt von dürren Bäumen, die ihre Äste in
den Himmel reckten. Jacquotte schritt unruhig über das Deck.
Die Männer wurden aufsässig, sehnten sie sich doch nach den
angekündigten Plünderungen. Erst gestern hatte Jacquotte die
Vorräte überprüft und festgestellt, dass sie zu Neige
gingen. Das Schiff von L’Olonnais befand sich beinahe außer
Sichtweite, während die vier anderen leichteren Schiffe im
Umkreis der
La Poudrière
dümpelten. Jacquotte behielt sie im
Auge, aber offensichtlich waren die übrigen Kapitäne ratlos
wie sie selbst. Von L’Olonnais konnte man über die
Entfernung keine Befehle mehr erhalten, was bedeutete, dass
die Zeit gekommen war, selbstständig zu handeln.
Sie fuhr herum. Die Männer hatten eine der Pulverratten an
Deck gezerrt und sie in ihre Mitte genommen.
»Biste jungfräulich?«, wollten sie wissen. Der Junge
schüttelte verschämt den Kopf, während die Umstehenden in
Gelächter ausbrachen.
»Beim Barte Neptuns, wir haben keinen jungfräulichen
Seemann an Bord!« Sie stießen den Burschen zurück unter
Deck. Als Jacquotte in den Pulk trat, zogen die Männer eilig
ihre Köpfe ein.
»Was geht hier vor?«
»Kapitän«, erklärte einer der Bukaniere aus Bayahá, »Ihr
wisst sicher, dass ein jungfräulich reiner Seemann dreimal
am Besanmast kratzen muss, damit der richtige Wind geflogen
kommt.«
Jacquotte grinste. »Ich bin mir dessen bewusst. Aber
Wunder helfen uns nicht mehr weiter.«
Sie sah in die ausgemergelten Gesichter ihrer Mannschaft.
»Wenn der Wind nicht zu uns kommt, dann gehen wir auf die
Suche nach ihm. Allerdings steuern wir zuerst die Küste an,
um uns Nahrung zu beschaffen. An die Ruder, Männer!«
Ein Teil der Besatzung verschwand unter Deck, während
Jacquotte Zeichen zur
Belle Rouge
geben ließ. Bereits kurze
Zeit später legten sich die Männer der vier Schiffe in die
Riemen. Trotz aller Bemühungen dauerte es noch bis in den
Nachmittag, bis sie endlich Anker warfen und die Brüder
eifrig mit den Beibooten ausrückten. Das große Flussdelta,
das sie angesteuert hatten, würde die Mannschaften
landeinwärts bringen, wo für gewöhnlich Eingeborenendörfer
ihren Hunger zu stillen vermochten. Jacquotte überwachte das
Ausschwärmen der Männer und hielt die Stellung. L’Olonnais‘
Schiff war nirgends zu entdecken, und sie konnte nicht
behaupten, dass sie unglücklich darüber war. Der Olonnaise
war ihr seit ihrem Auslaufen aus dem Hafen von Bayahá nicht
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