Joli Rouge (German Edition)
aufhielten, war von einer solchen Fülle an
Früchten und Tieren, dass man sich bisweilen vorkam wie im
Paradies. Es fehlte einzig an der Eva, die Bigford gefällig
sein wollte. Man mochte es kaum glauben, aber unter all
diesen Männern fand man lediglich eine einzige Frau, die
unter dem Schutz ihres legendären Vaters stand, dessen Ruf
sich Bigford nicht erklären konnte. Es war an der Zeit, dass
die rote Jacquotte einen würdigen Herrn fand, der ihr die
Wildheit aus ihrem erblühenden Körper trieb. Kein Mann in
England hätte es geduldet, dass eine Frau selbstständig für
ihr Leben sorgte oder gar eine Waffe in die Hand nahm, um in
den Kampf zu ziehen. Das war unnatürlich und ganz und gar
inakzeptabel. Wie sollte das weitergehen? Wollte sie etwa
erwägen, ein Schiff zu betreten und in der Art der
Flibustier zur See zu fahren? Bigford traute es ihr zu.
Vermutlich würde sie sich wacker schlagen. Er kannte Männer,
die verweichlichter waren als sie. Dennoch, Weiber gehörten
nicht auf ein Schiff! Mit Ausnahme der festgesetzten
Vergnügungszeiten, wenn den Seeleuten, die vor dem Mast
ihren Dienst taten, erlaubt wurde, Damen zu empfangen.
Solche Stelldicheins verhinderten Meutereien und bildeten
die einzige Exzeption, bei der die englische Marine Frauen
an Bord akzeptierte.
Bigford trommelte ungeduldig mit den Fingern auf seinen
Oberschenkel. Er musste sie haben. Kein Weib vor ihr hatte
solches Begehren in ihm hervorgerufen wie sie. Er würde
Jérôme folgen, wenn er das nächste Mal auf die Pirsch ging.
Und wenn er sie in die Finger bekam, würde er dafür sorgen,
dass sie sich nicht mehr zur Wehr setzte!
Eine Woche später band Jacquotte Manuel schweren Herzens
an einen nahestehenden Baum. Sie durfte nicht zulassen, dass
er sich von ihr entfernte, während sie das Fleisch
vorbereitete. Der Hund verfolgte aufmerksam jeden ihrer
Handgriffe und wartete auf seinen Anteil an der Hatz. Wie
sich herausstellte, war das Leben außerhalb der Gemeinschaft
nicht so einfach, wie sie erwartet hatte. Die Jagd stellte
sie vor die größte Herausforderung. Jeder Schuss war im
Umkreis von mehreren Lieue zu hören und konnte die
Aufmerksamkeit der Männer auf sie lenken, die ebenfalls auf
der Suche nach Wild durch die Wälder streiften. Sie hatte
die neue Siedlung des Nachts ausspioniert. Sie lag noch
tiefer im Unterholz verborgen, und die Männer stellten nun
fortwährend Wachen auf, um nicht erneut von einem Angriff
der Spanier überrascht zu werden. Die Wachposten riefen sich
in regelmäßigen Abständen Parolen zu, um zu verhindern, dass
der Schlaf sie übermannte. Es würde zukünftig schwierig
sein, die Siedlung zu betreten.
Ein weiteres Problem stellte die wachsende Anzahl der
streunenden Hunde dar, die von ihren Herren zurückgelassen
wurden oder von den Siedlungen der Spanier herüberkamen. Sie
verwilderten und bildeten Rudel, die die Schweine
dezimierten und nicht davor zurückschreckten, Menschen
anzugreifen. Jacquotte hatte gelernt, sie zu fürchten, und
bewegte sich noch wachsamer als sonst. Fast unlösbar war
indes die Aufgabe des Räucherns. Um das erlegte Fleisch
haltbar zu machen, musste sie es einige Stunden über
niedrigem Feuer garen, das ständig überwacht werden musste.
Um das köstliche
viande boucannée
herzustellen, benötigte
man außerdem jene charakteristische Rauchentwicklung, die
sich nur entwickelte, wenn man die Knochen des Tieres in die
Glut warf. Doch genau diese Prozedur durfte sich Jacquotte
nicht erlauben, denn der Qualm war weithin sichtbar, und der
Geruch wurde durch den Wind in die entlegensten Ecken
getrieben. Sie besaß keine Räucherhütte und selbst wenn es
ihr gelang, den Rauch mit Palmblättern in Grenzen zu halten,
blieb immer noch die Feuerstelle zurück, die jedem verriet,
welcher Tätigkeit sie nachgegangen war. Sie hatte versucht,
das Fleisch zu trocknen, aber ohne Salz schmeckte das
Ergebnis nicht zufriedenstellend und wurde in der dampfigen
Luft schnell ranzig.
Eine Zeit lang hatte sie darüber nachgedacht, sich unter
Jérômes Schutz zu stellen, die Idee aber rasch wieder
verworfen. Ihre Situation machte sie vorsichtig. Es war, als
ob mit dem Tod ihres Vaters alles Gewohnte in viele Teile
zersprungen war, die es nun galt, neu zusammenzusetzen.
Selbst Jérôme, Bestandteil ihres Lebens, seit sie klein war,
bildete keine Ausnahme. Sie hatte nicht vor, ihr Leben von
ihm bestimmen zu
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