Joli Rouge (German Edition)
Seine
Stimmung verdüsterte sich zunehmend, als sie seinen Blicken
entschwand. Er fluchte. Sie war anmaßend und leichtsinnig.
Ihr Vater hätte besser daran getan, sie anzuleinen, anstatt
sie mit allen Freiheiten großzuziehen. Noch dazu hatte er
sich umbringen lassen und sie mit seinem Tod dazu verdammt,
eigene Entscheidungen zu treffen. Er vermochte sich nicht
auszudenken, wo das alles noch enden würde. Ärgerlich ballte
er die Hände zu Fäusten. Ab sofort war sie auf sich allein
gestellt. Sie wollte seine Hilfe nicht, dann würde er sich
auch nicht mehr anbiedern. Er berührte das goldene Kreuz.
Seine Mutter Mencia hatte ihm stets eingebläut, auf ihr
Herz, ihr
nanichi
, Acht zu geben. Als zweites Kind ihrer
Schwester Anani hatte Mencia das rothaarige Neugeborene mit
ihrer Milch groß gezogen, die noch durch Pierres Geburt in
ihren Brüsten floss.
Guare
sollten sie fortan sein,
Zwillinge, auf ewig verbunden. Pierre schnaubte. Seine
Mutter hatte keine Ahnung gehabt, mit welch schwerer Bürde
sie ihn strafte, denn ihr Herz pochte wilder und stärker,
als Pierre es zu zähmen vermochte.
Kapitel 4
Île de la Tortue, Frühling 1659
»Ist es wahr, ist es wahr?« Der kleine Mann mit Namen
Elias Watts kratzte sich das pockennarbige Gesicht und
betrachtete kritisch sein Gegenüber. Die mottenzerfressene
Perücke saß wie ein vom Sturm gepeitschtes Vogelnest auf
seinem Kopf, und durch seine nach außen gewölbten Knie hätte
ohne Mühe eine Kokosnuss gepasst.
Jaque De l’Isle stand mit gestrafften Schultern vor ihm,
während Bigford ein Lachen verdrückte.
»Ihr müsst wissen, Sir« Bigford räusperte sich kurz, »das
Anliegen von Gouverneur D’Oyley entspricht nicht seinem
persönlichen Empfinden. Lediglich die Tatsache, dass Jérémie
Deschamps du Rausset augenscheinlich über gute Kontakte in
England verfügt, ließen ihn den Titel des Gouverneurs von
Tortuga erlangen. Er weilt in dieser Minute bei D‘Oyley, und
es ist vermutlich nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich
mit neuen Siedlern hier einfinden wird.«
Gouverneur Watts trat an das geöffnete Fenster und blickte
auf das weitreichende Hafenviertel hinunter. Bigford hatte
gehört, dass er das zweistöckige Haus auf den Resten einer
Wehranlage erbaut hatte. Der Ort, der sich mittlerweile um
das neuentstandene Fort de Rocher bildete, hieß Cayone. Der
geschützte Hafen vermochte gut siebzig Schiffe zu fassen und
der helle Sandgrund war frei von störenden Riffen. Die
Bonaventure
schaukelte derzeit mit vier weiteren Seglern
verlassen in der Bucht.
»Ich soll von einem Franzosen beerbt werden.« Watts
seufzte und warf De l’Isle einen vorsichtigen Blick zu.
»Meine Familie und ich haben diese Insel vor drei Jahren
wieder besiedelt. Haben Sie eine Vorstellung davon, was für
Mühen es gekostet hat, das alles wieder aufzubauen?« Er
deutete durch das weiß getünchte Fenster, das die milde
Seeluft hereinließ.
De l’Isle lächelte. »Mit Verlaub, Gouverneur, ich hörte,
dass einige Bukaniere die Insel nie verlassen haben. Sie
lebten im Hinterland, während die Spanier die Insel besetzt
hielten, und machten weiter wie zuvor, als sie ablegten.
Ihre Kolonie besteht nur zu einem Drittel aus Engländern und
die Plantagen sind allesamt in französischer Hand.«
»Was wollt Ihr damit sagen? Dass wir Engländer hier nichts
verloren haben?« Watts tat einen Schritt auf ihn zu und
legte den Kopf in den Nacken.
Bigford hob die Augenbrauen. Elias Watts war eine
lächerliche Kreatur und seines Amtes nicht würdig. Fast
schämte er sich dafür, der gleichen Nationalität wie der
Gouverneur anzugehören.
»Sir, der Vertrag von Paris macht unsere Länder zu
Verbündeten«, versuchte er die Situation zu besänftigen und
stellte sich De l’Isle zur Seite.
Watts schnaubte. »Wie wahr! Nur frage ich mich, was uns
Englands Unterstützung im Kampf Frankreichs gegen Flandern
in diesem Teil der Welt nutzt? Offensichtlich sind hier
andere Mächte im Spiel, die die Allianz unserer Nationen
unterwandern.«
»England liegt im Krieg mit Spanien, Sir. Einzig diesen
Feind gilt es zu vernichten. Wenn D’Oyley Anweisungen
erhält, einen anderen Gouverneur einzusetzen, dann liegt das
mitnichten an einem internen Kräftemessen zwischen
Engländern und Franzosen.« Bigford konnte nicht glauben, was
er da von sich gab, aber ihm gefiel das kleine Spiel, das De
l’Isle eingefädelt hatte. Brachte es ihn doch endlich
Weitere Kostenlose Bücher