Joli Rouge (German Edition)
versenken.«
»Und wer kümmert sich um meinen Anker? Wenn ich ihn nicht
bald zu Wasser lasse, dann wird die Kette morsch«, maulte
der Bärtige. Die Männer lachten und klopften ihm aufmunternd
den Rücken.
»In seinem Zustand is‘ er schnell fertig, Marquand!«
»Aye, Marquand, sei ein guter Bruder und lass unserem
Neuling den Vortritt. Wer weiß, wie lange er sich noch auf
den Beinen halten kann.«
»Denk‘ an deine eigene Initiation. Damals gab’s noch keine
Frauen.«
»Arrrh!« Marquand lockerte seinen Griff, ballte die Hände
zu Fäusten und nickte Jacquotte zu. »
Amuse-toi
«, bellte er
und trat zur Seite.
Sie bedankte sich und stolperte in Richtung Hauseingang.
Mit ausgestreckten Armen versuchte sie, sich abzustützen,
doch die Tür gab nach und Jacquotte fiel der Länge nach in
den dahinterliegenden Raum. Sie hörte die Männer johlen,
bevor die Tür geschlossen wurde und die Geräusche
verstummten. Sie wollte sich aufrichten, schaffte es aber
nicht. Ihre Gliedmaßen schienen nicht mehr zu ihrem Körper
zu gehören. Sie roch würzigen Rauch. Es erinnerte sie an die
Siedlung in Tierra Grande und Heimweh erfasste sie.
»Ich hatte nicht geglaubt, dass du dich hierher verirren
würdest.« Jemand zog sie hoch und setzte sie auf ein grob
gezimmertes Bett. Während sich Jacquotte den Kopf hielt,
bewegte sich die Gestalt mit raschelnden Gewändern durch den
Raum. Der Boden begann sich zu drehen, und sie verlor
jegliches Gefühl für Zeit. Nach einer Weile wurde ihr ein
Becher mit dampfender Flüssigkeit gereicht.
»Trink das. Es wird deinen Magen besänftigen.«
Jacquotte nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Ihr
Magen rebellierte.
»Nein, du musst trinken! Es ist bitter, aber es wirkt.«
Energische Hände zwangen den Becher an ihre Lippen, und sie
würgte das herbe Getränk hinunter. Hustend reichte sie das
Gefäß zurück und musterte im schummrigen Licht das Gesicht
einer Frau mit krausem Haar. Langsam lichtete sich der Nebel
in ihrem Kopf.
»Ich habe eure Sprache gelernt.« Die Frau zeigte eine
Reihe ungleichmäßiger Zähne, die in ihrem dunklen Gesicht
aufleuchteten. Ihr schlanker Hals war gebrandmarkt.
Jacquotte erinnerte sich.
»Du bist …«, murmelte sie. Mehr brachte sie nicht heraus.
»Die Männer nennen mich Morelle.« Die Frau verzog den
Mund. »Du bist eine Freundin, du musst mich Fayola nennen,
das ist mein richtiger Name.«
Jacquotte glaubte, ihre Gedärme würden
durcheinandergewirbelt und sie hielt sich den Bauch.
»Es wird gleich besser gehen«, versicherte Fayola und
erleichterte sie von Hut und Kopftuch. Unfähig, sich zu
wehren, ließ sie zu, dass Fayola ihr die Haare glättete. Sie
seufzte. Ihr Magen beruhigte sich ein wenig und der
Schwindel ließ nach. In Fayolas Hütte fühlte sie sich
seltsam geborgen.
»Ich wusste sofort, dass du Yanis Le Jouteur bist«,
erklärte Fayola. Sie betonte die Worte stets am Ende, was
ihre Sätze wie eine Melodie klingen ließ.
Jacquotte lächelte. »Ich hoffe, du hast es niemandem
verraten.«
»Keine Sorge.« Fayola strich ihr beruhigend übers Haar.
»Frauen sehen die Dinge mit anderen Augen als Männer. Ich
vertraue keinem Mann. Dein Geheimnis ist bei mir sicher.«
»Was tust du hier?« Jacquotte entspannte sich. Die Krämpfe
ließen allmählich nach.
Fayola schüttelte nachsichtig den Kopf. »Was denkst du?
Ich bin den Männern zu Willen. Lafitte, der Mann, der mich
beim Würfeln gewann, ist tot. Sein Gefolgsbruder ebenso.
Dies hier ist die einzige Verwendung, die es für mich gibt.«
Jacquotte starrte sie mit offenem Mund an. All die Männer,
die vor der Tür Schlange standen, wollten in dieser Nacht
noch zu Fayola? Sie konnte es kaum glauben.
»Du bist erstaunt?« Fayola stand auf. Sie bewegte sich
anmutig. An ihren Fußgelenken hingen Bänder mit kleinen
Glöckchen, die jeden ihrer Schritte untermalten. Ihr Körper
war von einem bunten Tuch verhüllt, das mehr preisgab, als
es verdeckte. Jacquotte beobachtete sie schweigend. Als
Fayola sich wieder zu ihr setzte und ihr bedeutete, den
Becher auszutrinken, fiel es Jacquotte leichter, den
bitteren Tee zu schlucken.
»Mein ganzes Leben schon bestimmen die Männer über mich.
Bevor man mich gefangen nahm, ersehnte ich mir das freie
Leben, das du erstrebst.« Fayola senkte den Kopf. »Aber es
ist mir nicht bestimmt, frei zu sein. Das ist mein
orí
, mein
Schicksal. Jeder Mensch hat eine Aufgabe zu erfüllen.«
»Du
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