Joli Rouge (German Edition)
Beeinträchtigt
durch ihre Last, kamen sie nur schwerfällig voran.
Als der Morgen nahte, zog sich eine kalte Taubheit durch
Jacquottes Arm, und sie hatte das Gefühl, tagelang
marschiert zu sein. Aber De l’Isle kannte keine Gnade und
ließ die Kunde verbreiten, dass sie erst gegen Mittag rasten
würden. Die Brüder murrten. Der Tag versprach, heiß zu
werden. In der dampfigen Luft des anbrechenden Tages waren
sie wehrlose Opfer für die Stechfliegen, die ihre Beine und
Arme bald wie einen Teppich bedeckten. Doch die
Verwünschungen der Brüder wurden kurz darauf vom Geschrei
und dem Getrampel hunderter Spanier übertönt. Durch die
Worte von Tête-de-Mort zur Vorsicht gemahnt, gab es kein
Zögern unter seinen Männern. Mit wenigen Handgriffen häuften
sie die Beute auf und griffen zu den Waffen. Jacquotte
empfand keine Furcht, als sie ihre Muskete lud. Müdigkeit,
Hunger und Alkohol halfen ihr dabei, sich auf das
Wesentliche zu konzentrieren. Tête-de-Mort zog sie an seine
Seite.
»Schickt ihre verfluchten Seelen auf direktem Weg in die
Hölle«, brüllte er und hob seinen Säbel, der das Sonnenlicht
auffing und aussah, als glühe er.
Die Männer erhoben ihre Stimmen und stemmten sich wie ein
Bollwerk gegen das auseinanderbrechende Gebüsch. Erste
Angreifer stürzten mit gezückten
navajas
auf die vordere
Front zu. Die Flibustier hielten stand. Sie verstanden es,
ihre Musketen in unterschiedlichen Salven nachzuladen und
abzufeuern. Anstatt sich des Ladestocks zu bedienen,
donnerten sie den Knauf der Waffe auf den Boden und sorgten
so dafür, dass sich die Kugel gegen das eingefüllte Pulver
drückte. Noch effizienter ging Tête-de-Mort vor, der seine
angerostete Muskete derart präpariert hatte, dass er kein
Schwarzpulver auf die Zündpfanne aufbringen musste, sondern
dieses direkt durch das Aufschlagen des Knaufs durch die
verbreiterte Öffnung von selbst in die Pfanne fiel. Dadurch
vergeudete er kaum Zeit beim Nachladen und war in der Lage,
sechs Schuss abzugeben, während die Gegenseite nur zwei
entgegenzusetzen hatte.
Jacquotte erledigte erste Angreifer mit ihrer Muskete,
bevor ihre Anzahl zunahm und sie zu Säbel und Machete griff,
um sich zu verteidigen. Im Strudel der Kampfhandlungen war
es bald schwierig, die eigenen Leute von den Spaniern zu
unterscheiden. Zu rasant erfolgten die Paraden auf die
niederprasselnden Hiebe, zu impulsiv waren die Reaktionen
auf schemenhaft wahrnehmbare Bedrohungen. Jacquotte spürte
kaum, dass ihr der Oberarm aufgeritzt wurde. Lediglich das
feuchte Blut, das ihr über die Hand lief, behinderte ihre
Fertigkeit. Sie knurrte verärgert und durchschnitt dem
anmaßenden Spanier mit nur einer einzigen Bewegung die
Kehle. Er war noch nicht zu Boden gefallen, als bereits der
nächste Widersacher auf sie zuhielt. Rasch zückte sie ihre
Pistole und schickte den Höllenhund, begleitet vom
zischenden Funkenregen, zu seinem seligen Kameraden. In dem
Durcheinander, das nun vermehrt durch den Rauch der
abgefeuerten Waffen getrübt wurde, wirbelte sie herum.
Tête-de-Mort zermürbte die Feinde mit unmenschlichem Gebrüll
und einer grausam verzerrten Fratze. Mit eleganten Schlägen
drängte er die Überraschten in die Defensive und tötete sie
rasch und präzise. Jacquotte suchte kurz Deckung hinter
seinem Rücken und wischte die blutverschmierte Hand an ihrer
Hose ab. Durch eine weitere Welle vorstoßender Spanier
zurückgedrängt, stieß Tête-de-Mort gegen sie und ließ sie
ihr Gleichgewicht verlieren. Sie strauchelte und der Hut
flog ihr vom Kopf. Bevor sie reagieren konnte, packte sie
eine Hand an der Kehle, und Jacquotte sah in das aschgraue
Gesicht des Feindes, dessen Herannahen ihr entgangen war.
Für eine kurze Sekunde registrierte sie jedes Detail an ihm.
Von dem gestutzten schwarzen Bart, bis hin zu den gelben
Zähnen und der schiefen Nase.
»
Hijo de puta
«, zischte er und spuckte sie an.
Mit einer Drehung ihres Körpers versuchte sie sich aus
seiner schmerzhaften Umklammerung zu befreien. Doch der
Bärtige zerrte sie zurück und sie sah seinen freien Arm nach
vorne schießen. Sie wand sich geschickt. Der gezückte Dolch
verfehlte sie um Haaresbreite, und Jacquotte spannte ihre
Muskeln. Während er zum nächsten Stich ausholte, hieb sie
ihm die Faust gegen das Kinn. Sein Kopf bewegte sich kaum,
doch am Zucken seiner Augen erkannte sie, dass er kurzzeitig
orientierungslos war. Eilig fingerte sie an ihrem
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