Joli Rouge (German Edition)
konnte er nicht sagen. Der Junge war
schweigsam. Woher er kam, blieb sein Geheimnis. Es wurde
spekuliert, er sei in Les Sables d'Olonne, einer Stadt an
der Atlantikküste von Frankreich, geboren worden, weshalb
ihn eine Reihe Männer auch L’Olonnais nannte. Für De l’Isle
blieb er der ergebene Jean-David. Dennoch blieben Zweifel,
wie es um seine Zuneigung bestellt war. De l’Isle hatte ihn
als Knecht in Léogane vor einem grausamen Herrn bewahrt.
Seitdem trieb ihn sein immenser Ehrgeiz nicht nur in das
Bett von De l’Isle, sondern auch stetig nach oben. De l’Isle
wusste, er würde ihn in seinem Kampf um die Macht bald
fürchten müssen. Vielleicht war es an der Zeit, den Platz an
seiner Seite neu zu besetzen und Jean-David freizugeben, auf
dass er sich ein eigenes Wirkungsfeld schaffen konnte. In
sicherer Entfernung vermochte man, ihn besser zu
kontrollieren als in direkter Nähe, wo er möglicherweise
bereits Pläne schmiedete, Kapitän der
Bonaventure
zu werden.
De l’Isle dachte an die rote Jacquotte. Ein solches Weib
war seiner würdig! Er könnte sie an seine Seite holen und
bräuchte trotzdem nicht zu fürchten, dass sie ihm seinen
Platz streitig machte. So zugetan er Jean-David auch war,
ein wohlgeformtes Hinterteil besaß auch das rothaarige Weib.
Frauen waren rar in diesem Teil der Welt und gab es dennoch
welche, so musste man sie immerzu mit anderen teilen. Er
würde Michel Le Basque einen Teil seiner Prise anbieten,
damit er wohlwollend entschied. Zweifellos waren Frauen
unerwünscht in der Bruderschaft, aber das waren Indianer und
Mohren ebenso. Trotzdem segelten sie unter der roten Flagge
und hielten sich bewusst von Michel Le Basque fern. De
l’Isle wusste, dass der Kodex nur so konform war wie die
Brüder, die in seinem Namen kämpften.
Von diesen Gedanken beflügelt, begab sich De l’Isle zu
Michel Le Basque, kaum dass sie eine Woche später im Hafen
von Port de Margot anlegten. Ungünstige Winde hatten ihre
Heimreise behindert, und De l’Isle verging vor Ungeduld.
Kaum auszudenken, wie viel Freude sich der Totenkopf mit der
roten Jacquotte bereitet hatte, während er den mürrischen
Blick seines Steuermanns hatte ertragen müssen. Hektisch
eilte er durch die Ansammlung von Holzhäusern, bis er den
Basken schließlich am östlichen Trockendock fand, wo er die
Behandlung seines Schiffes gegen den Holzwurm überwachte.
Das auf die Seite gelegte Schiff wurde hierbei mit
brennendem Buschwerk abgeflammt, bis die äußere Plankenlage
an der Oberfläche verkohlt war. Der beißende Rauch ließ De
l’Isle husten.
»Zum Donnerkiel«, polterte Michel Le Basque. »Wenn ihr
nicht sorgsam arbeitet, dann fackelt ihr sie noch ab!« Er
drehte sich um und herrschte De l’Isle an: »Was tut Ihr
hier? Ich hätte Euch eher auf der Île à Vache vermutet, wo
Ihr für gewöhnlich Eure Beute teilt.«
De l’Isle senkte ergeben den Kopf und biss sich auf die
Lippe, um nichts Unbedachtes zu erwidern. Mit ruhigen Worten
erzählte er von dem Überfall und der beschämenden Niederlage
der Spanier. Die eigene Demütigung, die ihn am letzten Tag
vor ihrer Abfahrt ereilt hatte, verschwieg er vorsorglich.
Michel Le Basque würde früh genug davon erfahren, und sein
Hohn war für die folgende Angelegenheit nicht förderlich.
»Ich möchte ein Anliegen an Euch herantragen, über das Ihr
richten müsst«, begann er und war sich der Aufmerksamkeit
des Basken schnell sicher.
»Ihr bittet mich um Hilfe?« Michel Le Basque zog eine der
buschigen Augenbrauen nach oben.
»Aye! Vielleicht erinnert Ihr Euch an Yanis Le Jouteur?
Ihr habt ihn in die Bruderschaft aufgenommen. An dem Tag,
bevor wir Segel in Richtung San Jago setzten.«
»Hm«, brummte Michel Le Basque. »Ein Teufelsbraten. Was
ist mit ihm? Fand er gar den Tod, nach dem er sich sehnte?«
»Nun,« De l’Isle ließ sich die Worte auf der Zunge
zergehen, »Yanis Le Jouteur ist in der Tat gestorben.«
»Das ist tragisch«, seufzte der Baske. »Eine mutige Seele
weniger, die unter uns weilt.« Er bekreuzigte sich. »Aber
ich verstehe Euer Anliegen nicht. Hat ihn einer der Brüder
auf dem Gewissen?«
»Yanis Le Jouteur ist tot, denn in Wahrheit ist er ein
Weib, wie sich im Kampf herausstellte. Es nennt sich die
rote Jacquotte, und sie ließ Euch und alle in der
Bruderschaft in dem Glauben, sie sei ein Mann!«
Die Augen des Basken wurden groß wie Pomeranzen. Fast
hätte sich De l’Isle über
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