Joli Rouge (German Edition)
sympathisiere mit den Hugenotten
und hatte gemeinsam mit seinem Bruder die Heimat verlassen.
Doch selbst das war nichts Ungewöhnliches. Beeindruckend war
indes die Loyalität seiner Mannschaft. Bigford hatte einige
von ihnen in ein Gespräch verwickelt, musste jedoch
feststellen, dass sie nur lobende Worte für ihren Kapitän
übrig hatten. Sie erzählten, er wähle seine Männer mit
Bedacht aus. Die meisten von ihnen waren von ihm
angesprochen worden, anstatt von sich aus bei ihm
anzuheuern. Es geschah auch, dass er Männer ablehnte, denen
er kein Vertrauen entgegenbrachte. All das ließ in Bigfords
Kopf das Bild eines durchtriebenen Mannes entstehen, der,
wie er vermutete, etwas zu verbergen hatte. Ausgerechnet
diese Verschlagenheit, für die er sich selbst gerne lobte,
stand ihm nun im Weg. Ihm würde etwas einfallen müssen, um
die rote Jacquotte den Fängen von Tête-de-Mort zu entreißen.
Das Schicksal wollte es, dass sich ihre Wege beständig
kreuzten. Es war ihm bestimmt, sie zu besitzen! Mit einem
letzten Blick auf seinen Widersacher wandte Bigford sich ab.
Jacquotte bemerkte, dass Tête-de-Mort unruhig wurde. Wie
ein eingesperrtes Tier lief er umher und ließ den Horizont
nicht aus den Augen, während das Treiben um sie herum an
Intensität gewann. Trunken vom Wein der Spanier und satt von
den Bergen an Fleisch, das über offenen Feuern garte,
frönten die Flibustier jeglichem Laster, dessen sie habhaft
werden konnten. Gefangene wurden ausgiebig gefoltert, und
ihre schaurigen Schreie erhoben sich in den Abendhimmel, der
das Blut der Gemarterten aufzunehmen schien und sich
bedächtig rot verfärbte.
»Er riecht das Unheil«, murmelte Levache. »Ist auf’m Meer
genauso. Er vermag Stürme vorherzusagen und zu umsegeln.«
»Aye«, bestätigte ein anderer mit Unbehagen. »Wir sollten
besser losziehen.«
Mit scharfem Blick beobachtete Levache das Martyrium der
Gefangenen.
»Wenn sie so weitermachen, gibt’s bald kein Lösegeld mehr
zu erpressen«, murrte er. »Dieser Jean-David ist ein Teufel!
Es bereitet ihm Freude, andere zu quälen. De l’Isle lässt
ihn foltern, dafür gewährt der ihm zuweilen eine Frau. Wenn
du mich fragst, ist er krank im Kopf.«
Jacquotte zog fragend die Augenbrauen hoch. Levache
bemerkte es und erklärte: »Jean-David Nau ist der Steuermann
von De l’Isle. Man sagt, sie verbindet ein wenig mehr als
nur innige Freundschaft.« Er grinste anzüglich. »Wie dem
auch sei, sein Hass auf die Spanier ist gewaltig. Kaum
bekommt er einen zwischen die Finger, fehlt dem auch schon
die Haut.«
Jacquotte wusste, von wem er sprach. Sie hatte den jungen
Mann bereits während des Tages beobachtet. Sein angenehmes
Gesicht täuschte über die Brutalität hinweg, mit der er
gegen die Spanier vorging. Sie glaubte gar ein beglücktes
Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen, wenn es ihm gelang,
einen zu erwischen, um ihn sodann langsam und qualvoll in
den Tod zu schicken. Ein kurzer Schauer lief ihr über den
Rücken, als sie sich daran erinnerte, dass Fayolas
Prophezeihung ihr Schicksal ausgerechnet mit dem von
Jean-David Nau verknüpfte.
»Bei meinen wankenden Masten«, tobte Tête-de-Mort, und die
Männer zuckten zusammen. »Ich werde mir das nicht länger mit
ansehen! Wir haben mehr Beute gemacht, als wir tragen
können. De l’Isle sollte zum Aufbruch drängen, anstatt sich
zu amüsieren!« Wütend stapfte er davon.
Obwohl die Kapitäne sich kurz darauf berieten, dauerte es
noch bis in die Nacht, bis De l’Isle sich endlich
entschloss, abzuziehen. Schwer beladen setzten sich die
knapp vierhundert Männer in Bewegung und hielten auf die
Küste zu. Das Wimmern der Verwundeten, die man
zurückgelassen hatte, folgte ihnen dabei wie ein Fluch.
»Es wird zum Kampf kommen«, schwor Tête-de-Mort seine
Mannschaft ein, während sie eilig über die verknoteten
Wurzeln stiegen, die ihren Marsch behinderten. »Bleibt eng
beieinander, entfernt euch nicht von der Gruppe und bildet
einen Kreis um die Beute. Sie werden uns nicht während der
Nacht zusetzen, aber seid aufmerksam, wenn der Tag
anbricht!«
Jacquotte umklammerte den dicken Ast, der auf ihrer
Schulter ruhte. Jeweils zwei Männer trugen gemeinsam eine
Stange, an der die Säcke mit den wertvollen Gegenständen
befestigt waren. Es erforderte Geschicklichkeit, sie in der
Dunkelheit zwischen den Bäumen hindurch zu balancieren, und
man hörte die Brüder in einem fort fluchen.
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