Joli Rouge (German Edition)
fürchte mich vor deinen Ansichten!« Er sah sie
verärgert an. „Habe ich dich nicht Umsicht gelehrt?«
»Aye! Und ich bin umsichtig genug, um dich nicht mit
meiner stinkenden Garderobe zu quälen. Ich brauche ein Bad.
Und ich will an Land, um in etwas anderem als einer
Hängematte zu nächtigen.« Sie wagte es, ihn in die Seite zu
knuffen und entrang ihm damit ein Schmunzeln. Sie erkannte
es an den Fältchen, die sich um seine Augen bildeten.
»Dann ist es wohl zu viel verlangt, dich zur Vorsicht zu
mahnen?«
»Wie viel Vorsicht muss man walten lassen, wenn man stets
von zwei Wachhunden umgeben ist, die überallhin folgen?«,
fragte sie keck und zwinkerte Jan zu, der abseits stand. Die
beiden Männer wechselten einen bedeutungsvollen Blick und
Tête-de-Mort seufzte.
»Sorgt euch nicht, ich weiß mich zu schützen«, bekräftigte
Jacquotte und stützte die Hände in die Hüften.
»Die Hoffnung ist schwach, hoffen wir trotzdem«, murmelte
Tête-de-Mort, bevor er sie mit einer Handbewegung entließ.
In Hochstimmung ließen die Männer die Beiboote zu Wasser
und es dauerte nicht lange bis ein Teil der Mannschaft gen
Festland ruderte. Jacquotte legte sich gemeinsam mit den
anderen in die Riemen, während sich die Brüder gegenseitig
mit Ankündigungen überboten, wie viel Rum und Frauen sie in
den nächsten Tagen gedachten, zu sich zu nehmen. Sie
grinste. Ihr war gleichfalls nach Feiern zumute. Die letzten
Monate waren erfolgreich gewesen, und sie wollte im Kreis
der Männer sitzen und andere an ihren Taten teilhaben
lassen. Sie war stolz auf ihren Erfolg und hatte Fayolas
Orakel eines Besseren belehrt. Sie wünschte sich, die
Freundin wiederzusehen. Vielleicht wäre ihr Mut Anreiz für
das schöne, schwarze Mädchen, aus ihrem Joch auszubrechen
und selbst über ihr Leben zu bestimmen. Jacquotte nahm sich
vor, Tête-de-Mort darum zu bitten, auf ihrer nächsten Fahrt
in Port de Margot Halt zu machen. Obwohl sie wusste, dass
die Stadt kaum noch besiedelt war, seit Cayone zur Basis der
Flibustier geworden war, hoffte sie dennoch, Fayola dort
anzutreffen.
Wie immer schien der Boden unter ihr zu wanken, als sie
den Landungssteg betrat. Unsicher wie ein Albatros an Land
hielt sie sich an Jan fest, bis sie ihr Gleichgewicht
wiederfand. Die Ankunft in einem Hafen war jedes Mal
aufregend. Die nächsten Tage würden angefüllt sein mit Essen
und Trinken, der Pflege der Waffen und dem Erkunden der
Stadt. Der Sack mit Achterstücken klimperte versteckt unter
ihrem weiten Hemd. Wenn sie Cayone verließen, würde von all
dem erbeuteten Geld nichts mehr übrig sein. Neugierig spähte
sie in die Tavernen, wich geschickt einem volltrunkenen Mann
aus, der seine Waffe auf Einzelne richtete und damit drohte
zu schießen, wenn man nicht gewillt war, mit ihm zu trinken,
und hielt Ausschau nach Gasthäusern. Ihr Körper war bereits
wund von der Kleidung, die sie Tag und Nacht trug und die
sie nur gelegentlich zu waschen wagte, wenn sie sich
unbeobachtet wähnte. Anders als die Männer, die nackt in den
Seen und Flüssen badeten, die ihren Weg kreuzten, hatte
Jacquotte gelernt, der Mannschaft ihre Weiblichkeit nicht
offenkundig zu präsentieren. Sie akzeptierten sie. Aber es
waren nur Männer. Jacquotte hatte sich mit dieser Tatsache
abgefunden. Dennoch zog es sie in jedem Hafen in die
Herbergen, wo sie Stunden im Badezuber zubrachte, bevor sie
sich zu den Brüdern gesellte, um mit ihnen zu zechen. Außer
Tête-de-Mort und Jan, die ihr folgten, ahnte niemand etwas
von dieser Vorliebe. Ein Übermaß an Pflege war den Männern
unangenehm. Es verschreckte die Läuse, die sie sich aus den
Haaren zogen und auf deren Anzahl sie Wetten abschlossen,
wenn sie tagelang auf See waren und es außer den üblichen
Tätigkeiten nicht viel zu tun gab.
Jacquotte steuerte zielstrebig ein Gasthaus an, das sich
in einer der schmalen Seitengassen befand. Die
Sonnenstrahlen erreichten kaum den Boden, so dicht drängten
sich die Gebäude aneinander. Sie bedeutete Tête-de-Mort und
Jan, was sie vorhatte, und wollte gerade durch die geöffnete
Tür ins Innere treten, als sie eine vertraute Gestalt in der
Menge erblickte. Remi! Ihr stockte der Atem. Sie hatte ihn
schmächtiger in Erinnerung. Das Meer hatte einen sehnigen
Kerl aus ihm geformt, dessen kräftige Pranken ihm nun den
Weg freiräumten. Die Stupsnase wirkte nicht länger niedlich
in dem herangereiften Gesicht, und seine hohe Stirn
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