Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
Telefon und ging in sein Büro. Er schloss die Tür hinter sich und führte mehrere Gespräche. Dabei sprach er so leise, dass man ihn unmöglich belauschen konnte. Ruhelos lief Jonathan im Wohnzimmer auf und ab. Immer wieder sah er seine Mutter, die von Riot in die Dunkelheit hinausgeschleppt wurde.
Nach qualvollen Stunden des Wartens verließ Cornelius das Büro. Auf eine Erklärung wartete Jonathan auch dieses Mal vergeblich. Sein Vater warf ihm eine Jacke zu. Achtlos ließ er sie aufs Sofa fallen. Er dachte nicht daran, das Haus zu verlassen.
»Ich gehe hier nicht weg, bevor du mir gesagt hast, was los ist!«
»Wir reden im Auto.«
»Und wohin fahren wir?«
»Das wirst du rechtzeitig erfahren. Zieh deine Jacke an.«
Widerwillig schlüpfte Jonathan in die Jacke und folgte seinem Vater nach draußen. Er fröstelte und wusste nicht, ob es an der Temperatur lag oder an der Kälte in seinem Herzen. Um ihn herum schoben ratlose Nachbarn die letzten Reste des Schnees zusammen und blickten gen Himmel. Das Unwetter hatte schlimme Schäden an ihren Häusern und Gärten angerichtet. Sie würden niemals erfahren, wie mitten im Sommer ein Schneesturm über ihrem Viertel niedergehen konnte, der den Rest der Stadt unangetastet gelassen hatte.
Cornelius öffnete auffordernd die Beifahrertür seines BMW . Jonathan sprang hinein und warf einen Blick in den Rückspiegel. Das alte Reihenhaus lag friedlich im Sonnenschein. Auf dem Lattenzaun saßen zwei Amseln und zwitscherten. Brombeerbüsche schmiegten sich an die Treppe vor der Eingangstür.
»Wir kommen nicht zurück?«, fragte er.
Cornelius schüttelte den Kopf. »Nein.«
Jonathan hob die Hand zum Abschied und schluckte den dicken Kloß in seinem Hals hinunter. »Auf Wiedersehen, Haus. Und danke für alles.«
Der Motor des B M W heulte auf. Bald hatten sie die Stadt verlassen und reihten sich in die Kolonne aus Autos ein, die sich durch den dichten Verkehr quälten. Jonathan hatte den Kopf ans Fenster gelehnt und blickte hinaus. Mit einem Schlag war ihm alles genommen worden, das ihm vertraut war. Sie reisten ins Ungewisse.
* * *
Jonathan war der festen Überzeugung, nur für ein paar Minuten eingenickt zu sein. Als er aufwachte, fand er sich an einer Tankstelle mitten im Nirgendwo wieder, weit weg von zu Hause. Bonbonfarbene Reklametafeln surrten über seinem Kopf, die Straße lag in Dunkelheit. Cornelius ging hinüber zum Kassenhäuschen. Der Tankwart war eine rundliche Frau, die sich hinter Panzerglas verschanzte und ihn durch eine schmale Öffnung bediente. Bevor er bezahlte, sah er fragend zu Jonathan hinüber.
»Hunger?«
Erst jetzt wurde Jonathan bewusst, dass er den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Er nickte. Sein Vater kaufte alles, was an der Tankstelle verfügbar war, vom Käsebrötchen bis zum Schokoriegel. Er ließ alles in eine bunte Tüte packen, die er auf Jonathans Schoß warf.
»Bedien dich!«
Jonathan blickte verwundert auf den Inhalt. Sein ernährungsbewusster Vater, der immer mit ihm schimpfte, wenn er sein Taschengeld in Süßigkeiten umsetzte, kaufte einen Berg nutzloser Kohlehydrate? Spätestens jetzt war klar, dass die Welt aus den Fugen geraten war. Er öffnete eine Packung Kartoffelchips. Cornelius setzte sich ans Steuer und startete den Motor. Auf dem Lenkrad balancierte er einen Becher Kaffee.
Sie fuhren über flaches Land. Über ihnen leuchteten die Sterne, und vor ihnen pflügten sich die Scheinwerfer durch ein Meer von Dunkelheit.
»Papa? Du hast einen Plan, nicht wahr? Um Mama zu helfen, meine ich.«
Es war offensichtlich, dass Cornelius nicht darüber sprechen wollte. Aber diesmal würde Jonathan ihn nicht mit Ausflüchten davonkommen lassen.
»Du hast mir versprochen, wir würden im Auto reden! Was machen wir jetzt?«
»Ich muss das alleine erledigen.«
Jonathan war fassungslos. »Du willst dich allein mit Riot anlegen? Aber ich kann dir helfen.«
»Du glaubst, du weißt, mit wem du es zu tun hast? Du irrst dich. Du hast keine Ahnung, wie gefährlich Riot wirklich ist.«
Jonathan starrte zornig aus dem Fenster. »Geben wir ihm doch dieses … Ding, dieses Herz!«, sagte er.
»Das Herz des Lazarus?« Der bloße Gedanke schien seinen Vater zu erschrecken. »Das ist unmöglich. Und selbst wenn ich wollte, ich habe es nicht.«
»Wo ist es denn?«
»In Sicherheit.«
»Dann suchen wir es und geben es ihm! Wenn wir es ihm bringen, lässt er Mama frei.«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht? Ist es eine Waffe?«
»Fast
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