Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)
blieb reglos liegen.
Helena schrie auf.
»Papa!«, rief Jonathan. Er spürte, wie die Wut in ihm hochkochte und die Angst hinwegfegte. Er riss sich von Riot los und drosch mit blanken Fäusten auf ihn ein.
»Lass meine Mutter los, du Mistkerl!«, schrie er. »Lass sie los! Sie hat dir nichts getan! Nimm mich!«
»Jonathan!«, rief Helena. »Nein!«
Jonathan stockte und sah in die Augen seiner Mutter.
»Du musst jetzt stark sein!«, flehte sie. »Sei jetzt stark für deinen Vater und für mich! Bitte, Jonathan.«
»Genug jetzt.« Wie ein lästiges Insekt warf Riot Jonathan zu Boden. »Richte deinem Vater Folgendes aus, Jonathan Harkan: Ich gebe ihm drei Tage! Dann komme ich zurück. Wenn er Helena wiedersehen will, sollte er das Herz des Lazarus bei sich haben. Hast du das verstanden?«
Jonathan brachte ein Nicken zustande.
Riot nickte grimmig. »Gut so, mein Kleiner. Ich sage nicht ›Auf Wiedersehen‹, denn ich hoffe für dich, dass es niemals dazu kommt!«
Er gab seinen Wölfen ein Zeichen. Die Tiere erhoben sich und folgten ihm zur Tür. Helena hing wehrlos in seinen Pranken.
»Bleib bei deinem Vater, Schatz!«, schrie sie verzweifelt. »Lasst euch nicht trennen. Wir sehen uns bald wieder!«
Jonathan stolperte hinter ihr her. Ein zähnefletschender Wolf wollte ihm den Weg versperren. Er wich ihm aus und packte Riots Jacke, bis ihn ein Ellenbogenhieb am Kopf traf. Bevor Jonathans Welt in Dunkelheit versank, sah er die Augen seiner Mutter. Er sah ihre Stärke, ihre Liebe. Und ihre Angst.
Fünftes Kapitel
Fahrt ins Ungewisse
Jonathan spürte die Kälte auf seiner Stirn. Aus dem Nebel der Bewusstlosigkeit schälte sich das Gesicht seines Vaters heraus. Es war von Sorge gezeichnet. Es dauerte eine Sekunde, bis er begriff, dass er auf der Couch lag mit einem feuchten Umschlag auf der Stirn. Die Sonne spielte in den Vorhängen. Durch das Fenster konnte er den blauen Himmel sehen. Nichts deutete auf das Unwetter hin, das eben noch gewütet hatte. Für einen Moment keimte die Hoffnung in ihm auf, dass alles nur ein böser Traum gewesen war. Dann bemerkte er Pfützen geschmolzenen Schnees, die Spuren von Wolfspfoten und die Abdrücke von schweren Stiefeln auf dem Parkett.
»Was ist passiert?«, stöhnte er.
»Du warst bewusstlos.«
Jonathan zog den Waschlappen weg und ertastete eine gewaltige Beule auf seiner Stirn. »Wie lange?«, fragte er.
»Zu lange. Wir sollten ins Krankenhaus fahren. Vielleicht hast du eine Gehirnerschütterung.«
»Es ist nur eine Beule, Papa.«
Er wollte sich aufsetzen und bemerkte, wie ihm übel wurde.
»Langsam!«, mahnte sein Vater.
Jonathan sah einen Bluterguss und einen hässlichen blutenden Kratzer auf Cornelius’ Stirn.
»Du blutest«, sagte er leise.
»Ein Kratzer, nichts weiter. Wo ist deine Mutter?«
Jonathan kämpfte, bis er aufrecht sitzen konnte. »Riot hat sie mitgenommen.«
Wut und Hilflosigkeit packten Cornelius. Auch Jonathan machte sich Vorwürfe.
»Du hättest nichts tun können, Jonathan. Riot ist grausam und unberechenbar. Und wie stark er ist, hast du ja gesehen.«
»Diese Uniform, die Narben in seinem Gesicht … er war im Krieg, nicht wahr?«
Sein Vater nickte. »In vielen Kriegen. Er hat in vielen Legionen gedient. Er liebt das Chaos.«
Jonathan fröstelte bei dem Gedanken. »Was hattest du mit ihm zu tun? Warum hast du ihn Bruder genannt?«
»Als wir noch jung waren … sind wir gemeinsam durch die Welt gereist. Wir waren wie Brüder. Damals war Riot nicht der Mann, den du heute kennengelernt hast. Er hatte Ideale, er träumte von einer besseren Welt …«
»Blödsinn. Er ist durch und durch böse!« Wütend schlug Jonathan gegen das Regal.
»So einfach ist es nicht«, seufzte sein Vater. »Manchmal geschehen Dinge, die dich vor eine Entscheidung stellen. Dann liegt es bei dir, welchen Weg du beschreitest. Riot hat den Weg des Hasses gewählt. Was ist geschehen, nachdem er mich niedergeschlagen hat?«
»Er hat Mama mitgenommen.« Jonathan spürte, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Rasch wischte er sie weg. Er wollte stark sein, so wie er es seiner Mutter versprochen hatte.
»Hat er etwas hinterlassen? Eine Botschaft? Einen Brief? Irgendetwas?«
»Er sagte, dass er in drei Tagen zurückkommt, und wenn du Mama wiedersehen willst, sollst du ihm das Herz des Lazarus geben.«
»Das Herz des Lazarus? Hat er mit dir darüber gesprochen? Hat er dir gesagt, was das ist?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Nein.«
Sein Vater griff zum
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