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Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Titel: Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Ahner
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seit sie aufgebrochen waren, überflog Cornelius’ Gesicht das spitzbübische Grinsen, das so typisch für ihn war. Es tat gut, ihn so zu sehen. Zumindest besserte sich seine Laune ein wenig. Als sie das Tor passiert hatten, erhob sich eine Burg vor ihnen. Einige Teile waren von Kriegen und räubernden Vandalen zerstört worden. Andere, wie der große runde Bergfried und der von Efeu umrankte Palas, waren noch intakt und ließen die einstige Pracht und Größe der Festung erahnen. Jonathan sah Mauern mit verfallenen Dächern, dort wo einmal die Stallungen gewesen sein mussten, er sah Wehrgänge und einen alten Brunnen, der mit Brettern verschlossen war. Ein paar Hühner flatterten gackernd zur Seite, als Cornelius den Wagen im Innenhof zum Stehen brachte. Er stieg aus und streckte seine müden Glieder. Die Kälte des Morgens ließ ihn frösteln. Jonathan rubbelte sich mit beiden Händen warm und sah sich um. Eine Stimme, rau wie Sandpapier, ließ ihn aufschrecken.
    »Ihr hättet nicht über die Brücke fahren sollen!«
    Jonathan wirbelte herum und sah einen Mann in der Tür des Haupthauses stehen. Er hatte langes graues Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war, und ein wettergegerbtes Gesicht, in dessen Falten das Licht versickerte. Seine Hände steckten in den Taschen einer abgegriffenen Wildlederjacke. Er wirkte fremd in dieser Umgebung, wie ein Indianer, der am falschen Ort gestrandet war.
    »Cassius, großer Bruder! Wir haben uns wirklich lange nicht gesehen!« Cornelius lachte ihm provozierend ins Gesicht.
    Cassius’ Blick wanderte zwischen Jonathan und Cornelius hin und her. Er war kein Freund großer Worte und machte keine Anstalten, zur Begrüßung die Hände aus den Taschen zu nehmen.
    »Ich habe dir gesagt, dass es gefährlich ist, über die Brücke zu fahren!«, murrte er noch einmal. »Sie ist alt und baufällig. Nicht gemacht für diese modernen Autos.«
    »Ja, ich freue mich auch, Cassius«, gab Cornelius grinsend zurück. Er schob Jonathan vor sich her. »Darf ich vorstellen? Das ist Jonathan, mein Sohn. Du kennst ihn, glaube ich. Wenn ich mich nicht täusche, bist du sogar sein Patenonkel.«
    Jonathan warf seinem Vater einen erstaunten Blick zu. Er hatte nicht gewusst, dass er überhaupt so etwas wie einen Patenonkel hatte. Cassius schien der ironische Seitenhieb nicht zu stören. Er musterte Jonathan.
    »Groß ist er geworden.«
    »Allerdings. Und er kann sogar sprechen.«
    Jonathan bekam einen Schubs. »Hallo, Onkel Cassius«, sagte er und streckte die Hand zur Begrüßung aus.
    Cassius behielt die Hände in den Taschen. »Lass dieses Onkel-Getue. Sag Cassius zu mir.«
    Jonathan zog die Hand wieder zurück und kam sich reichlich dumm dabei vor. Aber was sollte man schon von einem erwarten, der seit Jahrzehnten allein in einer Burg am Ende der Welt lebte?
    »Wir sollten uns unterhalten, Cornelius!«, sagte Cassius.
    Cornelius nickte. »Jonathan, bring das Gepäck ins Haus. Ich muss mit meinem Bruder unter vier Augen sprechen.«
    Jonathan zog eine Grimasse, gehorchte aber und wuchtete seinen Rucksack aus dem Kofferraum des BMW .
    »Wo soll ich hin?«
    Cassius deutete auf ein Fenster, klein wie eine Schießscharte.
    »Dein Zimmer ist dort oben im ersten Stock. Treppe hoch, erste Tür links. Und fass ja nichts an, ist das klar?«
    Cornelius machte ein Gesicht, als ob er sich für seinen großen Bruder entschuldigen wollte. Jonathan schulterte seinen Rucksack und ging wortlos an ihm vorbei. Dunkelheit umfing ihn, als er das Herrenhaus der Burg betrat. Die Fenster waren klein, und die meterdicken Mauern strahlten eine ungemütliche Kälte aus. Eine schmale Treppe führte in den ersten Stock. Er sah sich um. Vor ihm lag ein Korridor, zugestellt mit Regalen, in denen allerhand Krimskrams Staub ansammelte. Hinter der ersten Tür auf der linken Seite fand er sein Zimmer. Er musste sich bücken, um sich nicht den Kopf am niedrigen Türstock zu stoßen. Der Anblick seines neuen Reichs war ernüchternd: eine Kammer von kaum zehn Quadratmetern, dazu ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein ausgeblichenes Gemälde an der Wand, das wohl einen der Herren der Burg zeigte. Die alten Dielen knarzten, und die Decke war gerade hoch genug, sodass er aufrecht stehen konnte. Er ließ den Rucksack fallen und sank auf sein Bett, das quietschte wie eine rostige Tür. Durch das Fenster drang kaum Licht, und der Raum war so schlecht isoliert, dass er einen beständigen Windzug spürte. Seit dem Mittelalter hatte sich wohl

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